Fußball und die Regeln – das kann so einfach sein. Zugleich kann es jedoch zum Buch mit sieben Siegeln werden. Diesmal ist nicht unbedingt der 1. FC Union involviert, da ging es beim 2:2 gegen Heidenheim ohne größeren Aufreger zu. Indirekt aber geht es die Eisernen doch etwas an, was Darmstadt 98 passiert ist, dem nicht aufsteckenden Aufsteiger, der als Schlusslicht noch viel tiefer im Abstiegskampf steckt als die Rot-Weißen und der jeden Punkt noch dringender braucht als alle anderen Teams im Tabellenkeller. Außerdem betrifft es mit Tim Skarke einen Spieler, der aus Köpenick zu den Lilien ausgeliehen ist.
Kurz zum Verständnis für diejenigen, die die Szene nicht im Kopf haben, die tief in der Nachspielzeit das 2:1 und den Dreier für Darmstadt in Bremen bedeutet hätte: Skarke jagt einem Ball hinterher, den er eigentlich nicht erlaufen kann. Sein Nachsetzen wird dennoch belohnt, weil Werder-Schlussmann Michael Zetterer ihm den Ball auf den Bauch schießt und Skarke mit der Kugel ins Tor läuft. Das Tor aber zählt nicht, weil Skarke den Ball an den instinktiv vor seinem Körper angelegten Arm bekommen hat.
Die Regel ist willkürlich festgelegt, um wenigstens einen Hauch von Klarheit zu schaffen
Die Regel, die wie alle Regeln willkürlich festgelegt worden ist, um wenigstens einen Hauch von Klarheit ins Handspiel zu bringen, ist deutlich. Eigentlich. Sie besagt, dass ein Handspiel unmittelbar vor einer Torerzielung strafbar ist. Selbst wenn die Hand oder der Arm angelegt sind. Zumindest die Schiedsrichter sind sich da einig. Schön für sie. Aber wohl nur für sie. Es ist eine Regel, die vor allem die Referees ein wenig aus der Schusslinie nehmen soll. Deshalb verteidigen sie die auch vehement. Dem Sinn des Fußballs indes dient sie nicht.
Genau hier nämlich beginnt eine Ungleichbehandlung und damit eine Ungerechtigkeit. Es wird mit zweierlei Maß gemessen. Angelegter Arm eines Abwehrspielers im eigenen Strafraum und damit keine Vergrößerung der Körperfläche – keine Absicht, kein Handspiel, kein Pfiff, kein Elfmeter. Richtig so! Angelegter Arm eines Angreifers jedoch, gleichfalls keine Vergrößerung der Körperfläche, aber Torerzielung – obwohl auch hier keinerlei Absicht und manchmal nicht einmal zum eigenen Vorteil: Handspiel, Pfiff, kein Tor. Das ist doch irre. Dass es Darmstadts Trainer Torsten Lieberknecht wütend und sprachlos gemacht hat, ist völlig klar.
Derjenige, der schon mal Stürmer war, muss sich bei solch einer Entscheidung an den Kopf greifen. Diese Regel ist nicht auf dem Platz entstanden, sondern am Schreibtisch. Sie ist fern jeder Praxis. Die Logik hinter solch einem Passus ist nicht zu verstehen. Es gibt nämlich keine. Deshalb die Bitte an die Regelhüter: Legt endlich Hand an.
Den 1. FC Union hat es bei den Handspielregeln schon so und so erwischt
Dass es gerade bei Handspiel nicht immer gerecht zugeht, ist schon lange klar. Den 1. FC Union hat es damit so und so erwischt. Als in der vorigen Saison im Auswärtsspiel in Freiburg der Ball gleich zum Start über den linken Arm von Christopher Trimmel flog, eigentlich aber nur den Stoff des Trikotärmels berührte und auf dem Platz niemand ein Handspiel erkannte, gab der Videoassistent dennoch ein Zeichen zum Elfmeter für die Breisgauer. Als nur Wochen später im Europapokal-Heimspiel gegen Ajax Amsterdam Danilho Doekhi die Kugel an die Hand von Calvin Bassey köpfte und auch hier keinerlei Absicht zu erkennen war, meldete sich ebenfalls der VAR: wieder Elfmeter. Das erste Mal war es der Anfang zur 1:4-Niederlage, das zweite Mal zum 3:1-Sieg. Irgendwie verrückt und beide Male nur zum Wundern.
Um den Gedanken um eine grundverschiedene Wahrnehmung weiterzuspinnen: Auch bei Foulspiel gibt es so etwas wie zweierlei Maß. Oft hört man bei einer unfairen Attacke im gegnerischen Strafraum diese Ausrede für einen ausgebliebenen Pfiff: Ein Kontakt war da, aber für einen Elfmeter reicht der nicht. Meistens ist es Unfug. Über einen Kontakt regt sich niemand auf, Fußball ist ein Kontaktsport. Wenn über den Kontakt aber gesprochen wird, dann war es meist mehr als nur das. Außerhalb des Strafraums wird jedenfalls meistens anders entschieden. Dabei lernt jeder Steppke: Foul ist Foul, egal wo. Nur kommt für eines am Gegner im eigenen Strafraum der Ball auf den Punkt. Punkt!
Ihren Eigentlich-Unioner Tim Skarke und Darmstadt können die Köpenicker höchstens bedauern. Schließlich haben die Eisernen gegen das Schlusslicht bereits zweimal gespielt und die maximale Ausbeute eingefahren. Das ist ihr bislang größtes Pfund im Kampf gegen den Abstieg. Um dennoch endgültig aus der gefährlichen Zone herauszukommen, sollten die Männer um Kapitän Christopher Trimmel unabhängig vom Geschehen in anderen Stadien am besten selbst punkten. Auch und gerade zu Hause gegen Borussia Dortmund. Und um allen Eventualitäten aus dem Weg zu gehen: ohne angelegte und dennoch angeschossene Hand vor der Erzielung eines Tores. Sonst siegen nur wieder die Formalisten.