Als Bolzplätze noch wirkliche Bolzplätze und keine Fußball-Käfige waren, weil auf einer Wiese oder gar auf Schotter gespielt wurde und die Schulranzen als Pfosten herhalten mussten, gab es für Kinder meiner Generation diese einfache Regel: drei Ecken = Elfmeter. Mit mehr Verständnis für technisch-taktische Dinge könnte man auch sagen, dass ein Standard deutlich aufgewertet wird. So wie beim Schach ein bis zur gegnerischen Grundlinie marschierender Bauer in eine Dame verwandelt wird.
Die Idee dahinter ist jedem aufgegangen. Standards, um es mit Christopher Trimmel auszudrücken, können – spieltechnisch, versteht sich – „eine Waffe“ sein. Dabei ist der Kapitän des 1. FC Union einer derjenigen, die dies mit am besten zu nutzen wissen. Nach sechs Jahren Bundesliga hat es sich von Bremen bis Freiburg und von Leipzig bis Mönchengladbach herumgesprochen, dass der Österreicher bei Freistößen und bei Ecken ganz viel Gefühl in seinem rechten Fuß hat und die Bälle exakt dorthin bekommt, wo ein Mitspieler damit etwas Gefährliches anzufangen weiß. Beim 5:0 im DFB-Pokal in Gütersloh hat es schon mal wie aus dem Effeff geklappt. Trimmel-Ecke von links – Tor zum 2:0 durch Leopold Querfeld; Trimmel-Ecke von rechts – Tor zum 3:0 durch Danilho Doekhi.
Nur mit Elfmetern hat Union Probleme
Standards sind insofern enorm wichtig, da sie noch zielbewusster trainiert werden können als andere Dinge. Viel Übung macht den Spezialisten und am Ende den Meister. Max Kruse war so einer, bei seinen Elfmetern teils Zocker, größtenteils aber nervenstarker Vollender. Eine Bank war er. Bei 24 seiner 25 Versuche vom Punkt hatte in der Bundesliga kein Keeper eine Chance. Den einen Elfmeter, mit dem Kruse im Trikot der Eisernen einst gegen Kölns Timo Horn seine Hundert-Prozent-Quote vermasselte, hat er im Nachschuss trotzdem reingemacht. Hat man so einen im Team, hilft das ungemein. Selbst wenn die jugendliche Drei-Ecken=Elfmeter-Regel hier nicht greift.
Mit den Nachfolgern von Kruse als Elfmeterschützen hatten die Köpenicker nicht unbedingt das große Los gezogen. Robin Knoche verwandelte mal, mal wieder nicht. Gleiches gilt für Kevin Volland und Josip Juranovic, wenngleich in dieser Disziplin eigentlich Spezialisten. Dabei ist ein Team wie der 1. FC Union, der durchaus viele Angriffe für einen erfolgreichen Abschluss braucht, auf Tore aus Standards mehr angewiesen als vielleicht manch anderer. Womöglich gleich am Wochenende zum Start in die Bundesliga im Heimspiel gegen den VfB Stuttgart.
1. FC Union: Standardkönig wegen Sebastian Bönig
Deshalb sollte es heißen: ein Hoch den ruhenden Bällen. Der Pokal war ein guter Anfang, wenngleich Robert Skov ein Freistoßtor, wie er es in Gütersloh zum 1:0 erzielte, in der Bundesliga kaum geschenkt bekommen wird. Dort sind die Torhüter in der Regel deutlich ausgeschlafener und geben ihre Ecke nicht so naiv frei wie am Freitag passiert.

Wer herausgespielten und nach feinen Kombinationen erzielten Treffern einen höheren Wert beimisst – falsch! Natürlich sind solche Tore für das Auge schön und erheben eher Anspruch auf das Attribut „Tor des Monats“, doch Tore aus Standards sind planbarer. Deshalb sollte sich niemand schämen, diesen Teil des Spiels aufzuwerten. Sebastian Bönig, einer der Assistenten von Trainer Steffen Baumgart, hat schon mehrfach bewiesen, was herauszuholen ist.
PSG gewinnt Champions League mit Anstoß-Trick
Um auch letzte Zweifel zu nehmen, welche Kniffe selbst Blockbuster-Teams anwenden, um an den kleinsten Stellschrauben für den Erfolg zu drehen, soll stellvertretend Paris Saint-Germain herhalten. Bei eigenem Anstoß legen die Franzosen nicht etwa Wert darauf, den Ball in den eigenen Reihen zu behalten. Im Gegenteil. Sie dreschen ihn mit Vorliebe tief in des Gegners Hälfte und dort idealerweise nahe einer Eckfahne ins Seitenaus. Völlig gaga. Total verrückt. Durchgeknallt. Sie schenken den Ball regelrecht her. Die Idee dahinter aber ist diese: Sie haben den Gegner nahe an dessen Strafraum und setzen ihn mit aggressivem Pressing gleich in der torgefährlichen Zone unter Druck.