Häme ist nicht angebracht. Selbst bei einem 0:6 wie dem des 1. FC Union bei Borussia Dortmund nicht. Trotzdem sollte daran erinnert werden, was die Oldies in den Berliner Ü-Ligen – da geht es um 50-, 60- und inzwischen 70-Jährige – über viele Jahre als Spielwertung akzeptieren mussten, wenn das eigene Team nicht erschienen ist. Genau, ein 0:6. Damit es schmerzt. Will also jemand gemein sein und hat die Altvorderen im Sinn, fragt er bei einem solchen Debakel lieber nach, ob das Spiel tatsächlich stattgefunden hat. Sonst heißt es, auch wenn es nur am Stammtisch ist: Ein 0:6 ist wie nicht angetreten.
Mit Gemeinheit wiederum hat es nichts zu tun, doch der Eindruck, den die Eisernen gerade in der letzten Viertelstunde mit vier Gegentoren innerhalb von 14 Minuten hinterlassen haben, ist davon nicht weit entfernt. Bei allem Schmerz hat die Klatsche dennoch ihr Gutes. Sie sollte die Sinne schärfen und als Weckruf dienen.
1. FC Union erwischt es gern gegen Dortmund
In erster Linie dreht sich das meiste ohnehin um die Schlussphase. Neu ist das Gefühl einer Demontage in einer vergleichsweise kurzen Zeit für die Rot-Weißen dennoch nicht. Um ehrlich zu sein, sind sie genauso in ihre Bundesliga-Historie gestartet. Beim 0:4 zur Premiere gegen RB Leipzig stand es bereits zum Seitenwechsel 0:3. Die Treffer bis dahin fielen innerhalb von 23 Minuten. Wäre zudem ein weiteres Tor an jenem sonnigen Sonntag im August 2019 nicht zurückgepfiffen worden, hätte es da schon vier saftige Buletten in dieser halben Halbzeit gegeben.
Was auffällig ist: Mit Vorliebe erwischt es die Unioner in Dortmund. Um im Frühjahr 2020 zu ihrem 5:0 zu kommen, genügten den Schwarz-Gelben zwei kurze Phasen. Zunächst legten sie innerhalb von fünf Minuten ein 2:0 vor, die drei weiteren Treffer fielen Mitte der zweiten Halbzeit von Minute 68 bis 76 – in zusammen weniger als einem Viertelstündchen also. Im Herbst 2023, zur Pause führten die Rot-Weißen auch dank eines Elfmetertreffers von Leonardo Bonucci (es war das einzige Tor, das der Europameister von 2021 für die Köpenicker erzielte) sogar 2:1, reichten dem BVB zwanzig Minuten, um daraus einen 4:2-Sieg zu machen. Man hätte gewarnt sein können.
Drei Gegentore kassierte der 1. FC Union schon öfters
Was neu ist, ist bei den Gegentoren die vier. Drei innerhalb einer kurzen Zeitspanne sind nicht einmal selten. Damit haben die Eisernen öfter schon ihren Ärger gehabt. Eintracht Frankfurt schaffte es bei einem 5:2 einst in sechs Minuten; die Bayern bei einem 5:1 in dreizehn und bei einem 5:2 in zwanzig. Freiburg machte im Spieljahr 2022/23 bei einem 4:1 drei Dinger in sechzehn Minuten, Leverkusen zwei Wochen zuvor in exakt einer halben Stunde aber aus einem 0:0 zur Pause auch schon mal fünf. Und, immer auf das Schlimme: Wer erinnert sich nicht an das 3:4 im Vorjahr gegen Bochum, als der VfL im Stadion An der Alten Försterei innerhalb von einundzwanzig Minuten 3:0 führte? Nicht zu vergessen das 2:3 im vorigen Herbst in Stuttgart, als der VfB in nur achtzehn Minuten die Partie komplett drehte.

Was manchem dennoch nicht in den Kopf will, ist das krasse Auf und Ab. Zwischen dem 4:0 bei der TSG Hoffenheim und dem 0:6 in Dortmund liegen vom Ergebnis her ganze Welten – hier nach einem 6:1 einst auf Schalke der zweithöchste Auswärtssieg, da die höchste Auswärtsniederlage –, zeitlich aber nur 14 Tage. Ein Wimpernschlag. Darf die Frage erlaubt sein: Wie geht so was? Zufall? Schwäche? Verunsicherung gar? Vielleicht, damit könnten sich alle am ehesten anfreunden, auch nur ein Ausrutscher.
Beim 1. FC Union kommt es gegen Kiel auf die Psyche an
Die Frage danach muss dennoch heißen: Wie am besten macht man sich nach einem derartigen Debakel Mut? Vielleicht, auch wenn es ein klein wenig nach Lieschen Müller klingt, so: Ein unglückliches und womöglich erst in der Nachspielzeit kassiertes 0:1 gibt null Punkte, ein 0:6 ebenso. Andersherum, das haben die Eisernen gerade nach ihrem Erfolg bei der TSG Hoffenheim erfahren: Auch für einen Kantersieg bekommt man nur drei Zähler. Das hat manchem schon geholfen. Wenn man will, ist Deutschland – gegen denselben Gegner 3:8 und exakt zwei Wochen später 3:2 – so 1954 Weltmeister geworden.
Also, vor allem für die Psyche ist das wichtig: Haken ran und weitergemacht. Am besten mit einem Dreier am Sonntag gegen Kiel. Die Höhe spielt dabei nicht die geringste Rolle. ■