Leicht ist es für einen Anhänger des 1. FC Union nicht, sich mit dem zu Ende gehenden Jahr zu arrangieren. An die Bundesliga hat sich einer, dessen Herz an den Eisernen hängt, mit den Spielzeiten gewöhnt. Auch daran, dass es den Verein in immer höhere Sphären getragen hat. So etwas nimmt man nur allzu gern mit, zumal es fast so etwas geworden ist wie eine Selbstverständlichkeit.
Dennoch schlagen bei vielen zwei Herzen in einer Brust. Was bleibt von diesem Jahr auf der Achterbahn, der Moment, in dem es völlig unerwartet in die Champions League ging oder nagen die quälenden Monate des Herbstes mit dem nicht enden wollenden und erst im Dezember gestoppten Fall ins nahezu Bodenlose?
Es ist, wie fast immer, beides. Ein Mix aus Segen und Fluch, in guten wie in schlechten Zeiten. Das ist für jemandem, der den Mitgliedsausweis in der Tasche hat und den Support gerade nach Niederlagen zum Kult erhoben hat, gelebte Ehrensache. Zumal die Köpenicker längst nicht allein sind mit dem Gefühl, dass der Fußball-Gott seine schützende Hand weggezogen hat und sie aus dem Himmel zu fallen drohen.
Fast ähnelt es einem Trauma, aber ein Blick in die Bundesliga-Nachbarschaft genügt, um die vergangenen Monate richtig einzuordnen. Mit Ausnahme von Eintracht Frankfurt im vorigen Spieljahr hat kein anderer deutscher Verein bei seinem Debüt in Europas Königsklasse (beim Wort Debüt scheiden sich bei den Hessen allerdings die Geister, weil sie 1960, vor Gründung der Bundesliga also, im damaligen Meistercup ins Finale vorgestoßen sind) nach dem jetzigen Modus die Gruppenphase überstanden. Andererseits ist Eintracht dort nur hingekommen, weil die wiederum in der Saison davor in der Europa League triumphiert hatte. Alle anderen – Wolfsburg 2010, Leipzig 2018 und Hoffenheim 2019 – mussten wie die Eisernen nach den ersten sechs Spielen die Segel streichen.
Auch andere Klubs stolperten über die Königsklasse
Es ist also nichts, wofür sich die Spieler aus dem Stadion An der Alten Försterei schämen müssten. Dumm ist nur, dass sie sowohl in Europa als auch noch deutlicher in der Liga eingebrochen sind. Doch auch da sind sie nicht allein. Große, selbst größte Vereine, anders als die Eisernen wahre Schwergewichte, schwächeln und torkeln gar. Manchester United ist ebenso wie der 1. FC Union als Letzter seiner Gruppe, aus der mit Bayern München, aus Europa ausgeschieden und hat in der Premier League nach einem 3:2 über Aston Villa, das erst nach einem 0:2-Rückstand erkämpft wurde, gerade so Rang 6 erreicht, elf Punkte schon hinter Tabellenführer Liverpool. Nicht nach diesem Sieg, aber in einigen Spielen zuvor war aus dem Stadion Old Trafford, von der im Oktober verstorbenen Vereinslegende Sir Bobby Charlton als Theater der Träume getauft, mehr und mehr ein Theater der Tränen geworden.

Auch der FC Sevilla ist wie der 1. FC Union raus aus der Königsklasse und hat dort gleichfalls nur zwei Unentschieden erreicht. Selbst Superstar Sergio Ramos, der mit Real Madrid zigmal die Trophäe gewonnen hat und nach einem Abstecher zu Paris Saint-Germain zurück in der Heimat ist, konnte die Blamage nicht verhindern. Dabei hat Sevilla seit 2006 die Europa League siebenmal (!) gewonnen, zuletzt sogar 2023. Kurz vor Weihnachten wenigstens hat Sevilla das Kellerduell bei Neuling Granada 3:0 gewonnen und ist in La Liga, wie die Eisernen in der Bundesliga, auf Tabellenrang 15 geklettert.
Wie schief erst muss der Haussegen bei Ajax Amsterdam hängen. Vor einigen Wochen hatte ich an dieser Stelle den Absturz des niederländischen Rekordmeisters hin zur roten Laterne thematisiert und versprochen, den weiteren Weg zu verfolgen. In der Eredivisie haben die Ajacieden die Kurve bekommen, wenn auch mit Ach und Krach. Tabellenfünfter sind sie, viel mehr wird kaum gehen. Erzfeind PSV Eindhoven ist als Tabellenführer 23 Punkte weg und auf Nimmerwiedersehen enteilt. In der Europa League hat es auf der letzten Rille mit einem 3:1 gegen AEK Athen für den einzigen Sieg gereicht. Im nationalen Cup-Wettbewerb – raus mit Schimpf und Schande. Nach einem Freilos in Runde 1 war für den 20-maligen Pokalgewinner in Runde 2 Schluss. Der Gegner, eigentlich eine Majestätsbeleidigung, war einer, bei dem nur der Name furchteinflößend ist, sonst nichts, weil er aus der 4. Liga kommt, trotzdem 3:2 gewonnen hat: US Hercules. Die Fachzeitschrift Voetbal International bezeichnete den Ausgang als „größte Sensation in der Geschichte des Wettbewerbs“.
Was das für den 1. FC Union heißt? Ein paar Tage noch durchschnaufen und Wunden lecken, nicht mehr an Europa denken, dafür mit Volldampf in die ausstehenden 19 Saisonspiele um Punkte gehen. Und im Spätsommer neu angreifen.