Union-Kolumne

1. FC Union: Wenn das Schicksal Teufel oder Engel spielt

Tom Rothe ist 19, Berkin Arslanogullari auch. Der eine startet beim 1.FC Union durch, der andere muss dramatischerweise seinen Traum begraben

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Rani Khedira, Kevin Vogt, Janik Haberer und Benedict Hollerbach vom 1. FC Union machen mit ihren Erwärmungs-Shirts dem an Knochenkrebs erkrankten Torwart Berkin Arslanogullari Mut.
Rani Khedira, Kevin Vogt, Janik Haberer und Benedict Hollerbach vom 1. FC Union machen mit ihren Erwärmungs-Shirts dem an Knochenkrebs erkrankten Torwart Berkin Arslanogullari Mut.Matthias Koch/Imago

Manches im Leben lässt einen sprachlos zurück. Von einem Augenblick auf den anderen ringt man um Worte, weil man vom Ausmaß einer Nachricht schier erschrocken ist. Sie haut einen regelrecht um. Vor allem dann, wenn es um einen jungen Burschen geht wie Berkin Arslanogullari. 19 Jahre alt ist er. Sein Leben läge vor ihm, so hatte er geglaubt. Er hatte Träume, spielte Fußball, wollte ein starker Torhüter werden und war auf dem besten Weg dorthin.

Gerade ein halbes Jahr ist es her, dass er im Testspiel gegen den 1.FC Magdeburg eine halbe Halbzeit im Kasten der Profis stand. Mit Kevin Vogt und Robin Gosens spielte er, mit Yorbe Vertessen und Robin Knoche, ein paar Minuten auch mit Lucas Tousart und Christopher Trimmel. Es lief prächtig für diesen starken Kerl, der so fleißig und beharrlich sein Ziel verfolgte. Bis zu dem schrecklichen Augenblick, in dem von der einen zur anderen Sekunde alles anders wurde. Weil eine schreckliche Krankheit ihn stoppte, die nicht nur seinen sportlichen Traum zerstörte, sondern sein Leben und das seiner Familie komplett auf den Kopf stellt: Knochenkrebs, Amputation des linken Beines. So etwas wünscht man nicht einmal seinem ärgsten Feind. Das Schicksal kann ein wahrer Teufel sein.

Unions Nachwuchskeeper Berkin Arslanogullari zwischen seinen Eltern auf einem Krankenhausbett. Nach einer Knochenkrebs-Diagnose musste dem 19-Jährigen ein Bein amputiert werden.
Unions Nachwuchskeeper Berkin Arslanogullari zwischen seinen Eltern auf einem Krankenhausbett. Nach einer Knochenkrebs-Diagnose musste dem 19-Jährigen ein Bein amputiert werden.Nico Pellatz/dpa

Beinamputation beim Torwart des 1. FC Union ist der Horror

Beinamputation. Bei einer solchen Nachricht stockt jedem das Herz. Das kennt jemand meiner Generation von alten Männern, die verwundet aus dem Zweiten Weltkrieg nach Hause kamen. Oder von Kettenrauchern, bei denen durch jahrzehntelangen Nikotinkonsum die Durchblutung ins Stocken geraten war und denen durch die Operation das Leben gerettet wurde. Aber bei einem 19-Jährigen? Bei jemandem, der gerade die Schule hinter, aber nahezu das ganze Leben vor sich hat? Das tut selbst einem Außenstehenden weh. Unwillkürlich erwischt man sich bei dem Gedanken, dass der eigene Enkelsohn auch nicht älter ist. Es ist der Horror.

Da ist aber auch ein anderer Kerl beim 1.FC Union. So jung wie Berkin. 19 Jahre. Gerade erst angeheuert hat er in Köpenick. Beim 2:1 jüngst gegen Hoffenheim hat er sein erstes Tor für die Eisernen in der Bundesliga erzielt: Tom Rothe. Ihm steht die Welt offen. Geht seine Entwicklung weiter wie bisher, hat er das Zeug zum Nationalspieler. Als er über seinen Treffer jubelte, freute sich jeder im Stadion mit. Der Junge hat’s drauf, so die Meinung aller. Viele glauben bereits jetzt, dass es auf seiner Position kaum bessere deutsche Spieler gäbe. „Er ist der kommende linke Verteidiger der deutschen Nationalmannschaft“, ist Dirk Zingler überzeugt, denn: „Wir haben keinen besseren 19-Jährigen. Außerdem“, sagt der Union-Präsident, „ist er ein toller Junge.“

Ein Ritterschlag. Ein früher, zugegeben. Da fehlt sicherlich noch einiges, um so zu werden wie einst Paul Breitner und Andreas Brehme im Westen Deutschlands oder Bernd Bransch im Osten. Bei Tom Rothe zeigt das Schicksal sein ganz anderes Gesicht: Es kann ein wahrer Engel sein.

Tom Rothe mit dem Ball am Fuß. Der Neuzugang schlägt voll ein beim 1. FC Union.
Tom Rothe mit dem Ball am Fuß. Der Neuzugang schlägt voll ein beim 1. FC Union.Contrast/Imago

Das Schicksal schlägt beim 1. FC Union brutal zu

Der eine wird vom Schicksal aufs Brutalste gequält, der andere geradezu geküsst. Wie geht das zusammen? Der eine kann an seinem Los zerbrechen, der andere ist mit Zucker gepudert. Der eine stellt sich immer und immer wieder diese eine Frage: Warum ich? Warum, zum Teufel, ausgerechnet ich? Der andere möchte sein Glück nicht mehr loslassen und am liebsten bis zur Neige auskosten.

Das Schicksal von Berkin Arslanogullari rührt zu Tränen. Viele helfen ihm. Sponsoren wollen für Alltags- und Sportprothesen sorgen, ihn unterstützen, um möglichst fit zu werden für ein Leben, das er sich nicht ausgesucht hat, von dem er trotzdem heimgesucht wurde. Viele haben gespendet, längst ist eine sechsstellige Summe zusammengekommen. Allein Leonardo Bonucci, der 2021er-Europameister, der nur fünfeinhalb Monate ein Eiserner war, hat 10.000 Euro überwiesen. Die Liste der Unterstützer der von Ex-Profi Nico Pellatz organisierten Aktion ist lang: die Ex-Unioner Julian Ryerson, Robert Andrich und Christopher Lenz sind darunter, mit Michael Gspurning Unions Torwarttrainer, mit Markus Hoffmann der Assistent von Urs Fischer, mit Diego Demme sogar ein Haudegen von Hertha BSC, Unions U17-Trainer André Vilk, Ex-Bundesliga-Keeper David Yelldell, Union-Legende Sebastian Bönig und viele, viele andere. Viele tausend sind es schon.

Um Tom Rothe muss sich niemand sorgen. Der Bengel schwebt auf Wolke sieben. Um Berkin Arslanogullari umso mehr. Junge, viel Kraft und noch mehr Glück! ■