Union-Kolumne

Fußball etwas anders: Der 1. FC Union ist auch was für Romantiker

Die menschliche Seite kommt im Profifußball oft leider zu kurz. Beim 1. FC Union Berlin und auch anderswo jedoch nicht.

Teilen
Nach dem Motto „Fußball ist mehr als ein 1:0“ hatte der 1. FC Union in jedem Fall ein gutes Jahr.
Nach dem Motto „Fußball ist mehr als ein 1:0“ hatte der 1. FC Union in jedem Fall ein gutes Jahr.Andreas Gora/dpa

Jahr für Jahr stellt sich am Ende eines Spieljahres die gleiche Frage: Was bleibt, was geht, nachdem die meisten Titel vergeben, die direkten Auf- und Absteiger feststehen und sonst national nur noch der Pokal zu gewinnen ist? Was vor allem haben beim 1. FC Union die vergangenen 34 Punktspiele der Männer und die 26 der Frauen (die gleiche Anzahl wie einst bei Jimmy Hoge, Mecky Lauck, Meinhard Uentz, Bulle Sigusch, Potti Matthies und Meter Hendel in der DDR-Oberliga) hinterlassen? Haben sie gar Dringliches – vielleicht nicht so sehr bei den Eisernen Ladies, denn sie haben als Zweitligameister den Durchmarsch in die höchste Spielklasse geschafft – aufgeworfen?

Was das Analytische angeht, ist nahezu alles aufgearbeitet. Das passiert zumeist ohnehin Spiel für Spiel. Da Wechselkandidaten verabschiedet sind, erste neue Gesichter feststehen und weitere Verträge ausgehandelt werden, gibt es etwas anderes, was mich hat aufhorchen lassen. Etwas zutiefst Menschliches.

Nicht nur beim 1. FC Union: Auch Trainer Lukas Kwasniok wird emotional

Einer, der mit seinem Team bis zuletzt am Aufstieg in die Bundesliga geschnuppert hat, daran aber knapp vorbeigeschrammt ist, hat tief in sein Herz blicken lassen und diese Seite betont, die sonst, im Trubel der Jagd um Tore und Punkte, viel zu kurz kommt: Lukasz Kwasniok, der nach vier Jahren in und seinem Abschied aus Paderborn überlegt, eine Auszeit vom Trainerjob zu nehmen.

Fußball-Romantik gibt's nicht nur beim 1. FC Union. Man sieht, dass ihm der Abschied nahe geht und Fußball für ihn mehr ist als Ergebnissport: Ex-Paderborn-Trainer Lukas Kwasniok.
Fußball-Romantik gibt's nicht nur beim 1. FC Union. Man sieht, dass ihm der Abschied nahe geht und Fußball für ihn mehr ist als Ergebnissport: Ex-Paderborn-Trainer Lukas Kwasniok.Eibner/imago

Selbst wenn es am Ende mit dem Aufstiegstraum bei den Ostwestfalen nicht geklappt hat und das Finale in Karlsruhe mit 0:3 in die Hose ging, haben die SC-Anhänger den Coach gefeiert, als habe er sein Team gerade zum Titel geführt. Deshalb gab Kwasniok sich die Ehre und wurde emotional: „Ergebnisse sind mir wichtig. Aber der menschliche Umgang im Alltag ist viel, viel wichtiger. Da geht es um mehr als nur ein 1:0. Natürlich willst du Spiele gewinnen. Dein wahres Glück aber findest du im Alltag, wenn du respektvoll miteinander umgehst. Das haben die Jungs gelebt wie bisher keine andere Mannschaft, auch wenn ich schon paar echt geile Truppen hatte. Aber die war ganz, ganz besonders.“

Fußball-Romantiker und der 1. FC Union

Fast könnte man meinen: Romantiker vor, noch ein Tor! Bis zum 1. FC Union ist es da gar nicht weit. Gefühlt nur Nuancen. Wer war, ebenso vier Jahre wie Kwasniok, sein Vorgänger dort? Steffen Baumgart. Wer war 2019 neben Köln der Mitaufsteiger der Eisernen in die Bundesliga? Der SC Paderborn. Wer gehörte in der gerade beendeten Saison mit 26 Spielen und vier Toren zum Stamm der Blau-Schwarzen? Sven Michel, der mit einigen wunderschönen Treffern auch in Köpenick glänzte, nachdem er im Januar 2022 aus Paderborn gekommen war und über Augsburg auf seine älteren Tage (in zwei Monaten wird er 35) dorthin zurückkehrte.

Aus Paderbor<b>n zum 1. FC Union und über Umwege wieder zurück nach Paderborn: Stürmer Sven Michel.</b>
Aus Paderborn zum 1. FC Union und über Umwege wieder zurück nach Paderborn: Stürmer Sven Michel.Vitalii Kliuiev/imago

Auch wenn viele Haudegen von einst, jüngst erst Jupp Heynckes – als Spieler wurde er 1972 Europa- und 1974 Weltmeister, als Trainer holte er mit Bayern München 2013 das Triple –, die Entwicklung des Fußballs hin zu immer mehr Kommerz bedauern, die Romantiker gibt es weiterhin. Vielleicht werden sie sogar wieder mehr.

Egidius Braun, um die Jahrtausendwende Präsident des Deutschen Fußball-Bundes und danach dessen Ehrenpräsident, machte „Fußball ist mehr als 1:0“ zu seinem Lebensmotto. Vielen gilt er, obwohl 2022 im Alter von 97 Jahren gestorben, als alter weiser (nicht weißer!) Mann, der das Gute im Menschen sah und nicht müde wurde, selbst zu helfen.

Der 1. FC Union hatte ein gutes Jahr

Nimmt man diesen Grundsatz ernst, dürfen die Eisernen über die Saison sagen: Es war ein gutes Jahr. Immer hatten sie die Hütte, ihr Ballhaus des Ostens, rappelvoll. Immer, na gut, fast immer hatten sie ihre Anhänger an ihrer Seite. Häufig haben sie ihren Fans Freude bereitet, sie tanzen, singen und feiern lassen und – das vor allem – ihnen ein siebtes Jahr in der Bundesliga beschert.

Auch ihnen sind Siege wichtig, auch sie spielen um Punkte und ums Prestige, um Tore und Trophäen – und wenn es die für den 3060-Minuten-Rekord von Danilho Doekhi ist, mit dem er der Saison-Dauerbrenner wurde. Dennoch bleiben sie sich treu und genießen den Augenblick, den noch immer märchenhaften Flow, in dem sich der ganze Verein befindet. Deshalb, bei allem Ehrgeiz, bei allem Zwang, bei allen Befindlichkeiten: Und niemals vergessen … Menschlich und ganz nach Laune auch romantisch bleiben!