Erschreckender Befund

Deutschland depressiv: SO viele Menschen fühlen sich einsam

Nach einer neuen Erhebung ist jeder Vierte in Deutschland einsam. So finden Sie Hilfe bei Depressionen. 

Author - Stefanie Hildebrandt
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Laut einer Befragung fühlen sich viele Menschen in Deutschland alleine. 
Laut einer Befragung fühlen sich viele Menschen in Deutschland alleine. Jonas Walzberg/dpa

Wie viele Menschen mit einer Depression oder mit Burnout kennen Sie in Ihrem Umfeld? Auf der Arbeit, im Freundeskreis, in der Familie? Diejenigen, die offen mit ihrer Diagnose umgehen, sind die einen. Die anderen leiden still. Das Aufstehen fällt schwer. Der Alltag fällt schwer. Einfach alles fällt schwer. Depression ist wie ein zäher Nebel, der alles Schöne verhüllt. Manche Betroffene fühlen sich inmitten der Familie am Abendbrottisch einsam. Sich da jeden Tag durchzukämpfen, kostet alle Kraft. Und irgendwann geht vielleicht gar nichts mehr.

Depression ist eine häufige Erkrankung. Auch wenn heute immer mehr Menschen offen über ihre psychischen Erkrankungen sprechen, wird das Krankheitsbild Depression häufig missverstanden und in der Öffentlichkeit noch zu wenig wahrgenommen. Jedes Jahr erkranken in Deutschland 5,3 Millionen Menschen an einer unipolaren Depression. Das sind acht Prozent der Erwachsenen. Frauen sind dabei doppelt so oft betroffen wie Männer. Im Schnitt dauert es 20 Monate, bis sich Betroffene Hilfe suchen. Dabei ist die Depression eine gut behandelbare Erkrankung, den meisten Menschen kann geholfen werden, auch wenn es manchmal etwas Geduld braucht. So auch Ronald, einem Betroffenen, der bei der Vorstellung einer neuen Studie von seinen Erfahrungen erzählt.

Eine aktuelle Umfrage hat nun genauer nach einem Symptom von Depressionen gefragt: Jeder Vierte in Deutschland fühlt sich laut der repräsentativen Befragung sehr einsam. Das geht aus dem aktuellen „Deutschland-Barometer Depression 2023“ hervor. Die Befragten sollten etwa sagen, ob sie immer jemanden haben, um alltägliche Probleme zu besprechen. Oder ob ihnen eine richtig gute Freundin oder ein Freund fehlt.

Jeder Vierte in Deutschland fühlt sich einsam.
Jeder Vierte in Deutschland fühlt sich einsam.Stiftung Deutsche Depressionshilfe

Depression: sich von der Umwelt zurückziehen

Das Gefühl der Einsamkeit kann ein Symptom von Depressionen sein und ist weniger die Ursache. Betroffene ziehen sich während einer Depression oft von ihrer Umwelt zurück. Bei Ronald war dieser Rückzug besonders drastisch: der Rückzug des Leipzigers führte ihn sogar in die Obdachlosigkeit. Es habe Jahre gedauert, bis seine Erkrankung dank Hilfestellungen durch ein Jobcenter erkannt und behandelt worden sei.

Rückblickend betrachtet habe es frühere Warnzeichen gegeben: keine Erholung durch Urlaub zum Beispiel. „Der Kopf ratterte, ratterte.“ Hinzu kam nach Ronalds Worten das Gefühl, anderen zur Last zu fallen, nicht verstanden zu werden. „Also gehste jetzt in die Flucht“, beschreibt er sein Denken von früher. „Am besten keinen sehen.“ Heute arbeitet er als Haustechniker in einem soziokulturellen Zentrum, die Kontakte zur Familie habe er wiederaufnehmen können.

Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention: Den allermeisten Betroffenen könne man helfen, auch wenn es oft Geduld brauche, sagte Hegerl. Den Erkrankten, Laura (l) und Ronald geht es heute besser. 
Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention: Den allermeisten Betroffenen könne man helfen, auch wenn es oft Geduld brauche, sagte Hegerl. Den Erkrankten, Laura (l) und Ronald geht es heute besser. dpa

Stress als Ursache für Depressionen

Depressionen können viele Ursachen haben, eine von ihnen kennen viele Menschen: Stress. „Das Gehirn und damit die Psyche reagieren bei chronischem Stress sehr empfindlich“, sagt der Berliner Stressforscher Mazda Adli. Denn andauernder Stress versetzt den Körper in permanente Alarmbereitschaft. Diese Daueraktivierung führt zu psychischen Erkrankungen. „Die bekannteste psychische Stressfolgeerkrankung ist die Depression“, erklärt Adli. Durch die vermehrte Ausschüttung von Cortisol kann zudem die Konzentration nachlassen, dauerhafter Druck kann sich in Form von Gedächtnisproblemen äußern. Da Stress meist auch mit einem Gefühl von Angst verbunden ist, kann es mittel- bis langfristig zu Angst- und Panikattacken kommen.

Woran erkenne ich eine Depression?

Wenn über mehr als zwei Wochen bestimmte Symptome auftreten, kann das nach Angaben der Stiftung ein Hinweis auf eine Depression sein. Dazu zählen vor allem gedrückte Stimmung sowie Interesse- oder Freudlosigkeit, ferner zum Beispiel auch Schlafstörungen, innere Unruhe, Erschöpfung, Schuldgefühle und Suizidgedanken. Tiefe Erschöpfung, die auch nach dem Ausruhen nicht weggeht, kein Interesse an Neuem, schon gar nicht an Kontakt mit anderen Menschen, eine innere Versteinerung – eine Depression hat so viele Gesichter, wie es Betroffene gibt. 

Auch wenn Angehörige es gut meinen, Ratschläge wie „Geh doch an die frische Luft“ oder „Denk doch nicht so negativ“ helfen bei einer Depression nicht. Eine Depression ist keine Antwort auf äußere Lebensumstände. Was hingegen hilft: eine professionelle Behandlung. Nach einer Therapie kann etwa die Rückfallrate um 70 Prozent reduziert werden. 

Erste Anlaufstelle bei Depression: die Hausarztpraxis

Die erste Anlaufstelle bei Verdacht auf eine Depression kann die Hausarztpraxis sein. Der Vorteil daran: Der Hausarzt oder die Hausärztin kennt die Krankenakte gut und kann körperliche Erkrankungen ausschließen. Denn depressive Symptome können laut der Deutschen Depressionshilfe auch auf eine Schilddrüsenerkrankung zurückgehen. Den ersten Schritt, sich Hilfe zu suchen, muss der Erkrankte aber selber tun. Freunde und Begleiter können dabei unterstützen, einen Termin zu machen und ihn auch wahrzunehmen. 

Eine Depression hat viele Gesichter und Symptome. 
Eine Depression hat viele Gesichter und Symptome. Julian Stratenschulte/dpa

Der Hausarzt oder die Hausärztin kann einen auch erst mal mit einer Krankschreibung entlasten, wenn die Arbeitsfähigkeit nicht mehr gegeben ist. „Wenn noch keine gesicherte Diagnose vorliegt, wird häufig erst mal wegen eines Erschöpfungssyndroms oder Ähnlichem krankgeschrieben“, erklärt Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht aus Köln. Die Diagnose taucht für den Arbeitgeber nicht auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf.

Der Hausarzt kann dann eine Überweisung für eine psychiatrische Klinik, für einen Psychiater oder einen Psychotherapeuten ausstellen. 

Ein wichtiger Baustein bei der Behandlung psychischer Erkrankungen ist die Psychotherapie. Wer sich auf die Suche nach einem Therapeuten oder einer Therapeutin begeben möchte, kann das aber auch ohne Überweisung der Hausarztpraxis tun, so die Stiftung Gesundheitswissen.

Eine depressive Erkrankung ist behandelbar. 
Eine depressive Erkrankung ist behandelbar. imago/Westend61

Der Weg zum Therapieplatz bei Burnout und Depression

Die Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung etwa bietet eine Onlinesuche nach psychotherapeutischen Praxen an. Kassenpatienten können sich über die zentrale Terminvermittlungsstelle der Kassenärztlichen Vereinigungen einen Termin für eine psychotherapeutische Sprechstunde geben lassen – so heißt das Erstgespräch, das auf dem Weg zu einem Therapieplatz Pflicht ist. Im Gespräch klärt der Therapeut ab, ob eine psychische Erkrankung vorliegt, und gibt Empfehlungen für die Behandlung. 

Wichtig zu wissen: Dass man bei einem Psychotherapeuten einen Sprechstundentermin hat, heißt allerdings nicht, dass es dort automatisch auch einen freien Therapieplatz gibt. Manchmal gestaltet sich die Suche nach einem Therapeuten mit Kapazitäten schwierig. Es gibt oft Wartelisten, auf die man sich setzen lassen muss. Grundlage für weitere Bemühungen, einen Therapieplatz zu finden, ist aber der Befund aus der psychotherapeutischen Sprechstunde. 

Anlaufstellen für den Notfall

In manchen Fällen bleibt aber einfach keine Zeit, um auf Arzttermine zu warten. Bei drängenden und konkreten Suizidgedanken etwa ist schnelle Hilfe ein Muss. In so einem Fall sollte man sich an die nächste psychiatrische Klinik wenden. Wo die sich befindet, kann man über die Adressliste der Deutschen Depressionshilfe herausfinden. Auch der Notruf 112 ist eine Option. Eine weitere Anlaufstelle ist das Krisentelefon der Telefon-Seelsorge, das unter den Telefonnummern 0800 1110111 und 0800 1110222 erreichbar ist – und zwar rund um die Uhr. ■