Bedrohliche Lage

Awdijiwka: Heftige Kämpfe um Frontstadt – Kritik an Armeeführung

Während der ukrainische Generalstab die Lage in der Bastion Awdijiwka in der Region Donezk für „unter Kontrolle“ hält, wird Kritik aus dem Umfeld der Einheiten laut.

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Ein ukrainischer Soldat feuert bei Awdijiwka eine Panzerfaust auf russische Stellungen ab.
Ein ukrainischer Soldat feuert bei Awdijiwka eine Panzerfaust auf russische Stellungen ab.Archivbild/LIBKOS/AP/dpa

Seit beinahe zehn Jahren hält die Ukraine die Stadt Awdijiwka, einem Vorort der früheren Millionenstadt Donezk, als Bastion gegen den russischen Vormarsch in der Ostukraine. Zuletzt begannen Russlands Truppen eine Offensive, um die Frontstadt vor den Präsidentschaftswahlen zu erobern und Wladimir Putin damit einem Propagandasieg zu verschaffen. Derweil leiden die Ukrainer unter Munitionsmangel. Nun scheint es so, als ob eine Entscheidung in Awdijiwka bevorsteht. Berichte eines ukrainischen Kommandeurs empfinden manche als blanken Hohn.

Ukrainische und russische Truppen liefern sich nach Angaben eines hochrangigen ukrainischen Generals heftige Kämpfe im ostukrainischen Awdijiwka. „In der Stadt finden erbitterte Kämpfe statt“, erklärte General Oleksandr Tarnawskyj am Freitag in Onlinemedien. „Unsere Truppen nutzen alle verfügbaren Kräfte und Mittel, um den Feind zurückzudrängen.“ Der General bezeichnete die Lage in Awdijiwka als „schwierig, aber kontrolliert“. Kommandeure seien beauftragt worden, die „Situation zu stabilisieren“, erklärte Tarnawskyj weiter. Neue Stellungen würden vorbereitet.

Freiwillige übt heftige Kritik an Armee-General wegen Awdijiwka-Statement

Die Armee erklärte, sie verstärke ihre Truppen. „Gemäß der getroffenen Entscheidung ist die geplante Verstärkung der Einheiten im Gange“, teilte das Militär in Onlinediensten mit. „Die ukrainischen Verteidiger wehren weiterhin den Feind ab, der versucht, Awdijiwka zu umzingeln.“ Die ukrainischen Soldaten „halten stand“, hieß es weiter. Hunderte Zivilisten würden zudem evakuiert.

Kritik an den Aussagen des ukrainischen Kommandeurs gibt es sogar aus dem Umfeld der Fronteinheiten. „Verdammt, natürlich hat Tarnawskyj alles in Awdijiwka unter Kontrolle“, kommentiert die Freiwillige Jana Statna, die hilft die ukrainischen Einheiten zu versorgen und Zivilisten von dort zu evakuieren, das Statement. „Das ist nicht einmal mehr lustig. Das ist eine offene Respektlosigkeit gegenüber denen, die dort ihr Leben geben und gegeben haben.“

Russland hatte die Stadt immer wieder beschossen. Zuletzt lebten in den verbliebenen Ruinen nur noch wenige Hundert Zivilisten.
Russland hatte die Stadt immer wieder beschossen. Zuletzt lebten in den verbliebenen Ruinen nur noch wenige Hundert Zivilisten.Evgeniy Maloletka/AP

Eklatanter Munitionsmangel erschwert Ukrainern die Verteidigung

Inwieweit in Awdijiwka überhaupt noch eine durch den General angekündigte Unterstützung stattfinden kann, ist unklar. Die Ukrainer beklagen sich seit Wochen über einen eklatanten Mangel an Munition und Nachschub. Besonders in Awdijiwka war die Situation zuletzt kritisch. In einem Bericht der Bild hieß es, dass auf zehn Schüsse der Artillerie der Russen, zwei der Ukrainer kämen.

Experten machen dafür vor allem die mangelnde Lieferung von Munition aus dem Westen an die Ukraine verantwortlich. Die europäischen Verbündeten der Ukraine hatten ihre Lieferzusagen immer wieder verfehlt. Lieferungen aus den USA blieben ebenfalls aus, da ein Unterstützungspaket für die Ukraine seit Monaten im US-Kongress feststeckt.

Russland versucht seit Monaten, Awdijiwka einzunehmen. Die Stadt, die vor Beginn des russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine rund 33.000 Einwohner zählte, liegt in der Region Donezk in unmittelbarer Nähe der Stadt Donezk, die die Russen schon 2014 besetzt hatten. 

Ende Dezember noch besuchte der ukrainische Präsident Selenskyj die Frontstadt und sprach mit Soldaten.
Ende Dezember noch besuchte der ukrainische Präsident Selenskyj die Frontstadt und sprach mit Soldaten.Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa

Ukrainer evakuieren Truppen unter Beschuss aus umkämpfter Stadt

Die russischen Truppen haben Awdijiwka inzwischen von drei Seiten aus umstellt und sind in den vergangenen Tagen weiter vorgerückt. Derzeit tauchen immer mehr Videos ukrainischer Soldaten auf, die sich aus der Frontstadt zurückziehen. In einem davon ist zu sehen, wie die Männer auf einem gepanzerten Fahrzeug unter Beschuss die Stadt verlassen. 

Der neue ukrainische Armeechef Oleksandr Syrskyj hatte die Lage am Mittwoch bei einem Truppenbesuch als „äußerst schwierig“ bezeichnet und gesagt, dass die russischen Einheiten dort zahlenmäßig überlegen seien. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, warnte am Donnerstag, es bestehe die Gefahr, dass Awdijiwka „unter russische Kontrolle gerät“.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte der Armee am Donnerstag die notwendige Unterstützung zu. „Wir tun unser Möglichstes, um sicherzustellen, dass unsere Kämpfer ausreichend organisatorische und technologische Kapazitäten haben, um so viele ukrainische Leben zu retten wie möglich.“