Das erste Mal hat es im Bundestag eine Mehrheit mit Stimmen von CDU, CSU, FDP und AFD gegeben. Kritiker sprechen von einer historischen Zäsur.
Vor der mit Spannung erwarteten Abstimmung im Bundestag zur Migrationspolitik haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz einen harten Schlagabtausch geliefert. Im Zentrum der Auseinandersetzung: Der Umgang mit der AfD und die Frage, ob die Union bereit ist, sich von der rechtspopulistischen Partei unterstützen zu lassen.
Scholz wirft Merz Annäherung an die AfD vor
SPD-Kanzler Scholz griff Merz in seiner Regierungserklärung frontal an und warf ihm vor, die klare Abgrenzung zu extrem rechten Parteien aufzugeben. „Sie nehmen die Unterstützung der AfD für Ihre rechtswidrigen Vorschläge offen in Kauf“, polterte Scholz im Bundestag. Dabei spekulierte er sogar über eine mögliche Koalition zwischen CDU/CSU und der AfD nach der Wahl – ein Vorwurf, den Merz scharf zurückwies.
Merz kontert: „Niederträchtige Unterstellungen!“
Sichtlich aufgebracht entgegnete der CDU-Chef: „Diese Spekulationen sind niederträchtig und infam! Ich werde alles tun, um eine Zusammenarbeit mit der AfD zu verhindern.“ Gleichzeitig machte Merz jedoch deutlich, dass er bei der Umsetzung seiner migrationspolitischen Pläne die Zustimmung der AfD in Kauf nehme. „Es ist mir lieber, meine Vorschläge mit deren Stimmen durchzusetzen, als weiter tatenlos zuzusehen, wie die Menschen in unserem Land bedroht, verletzt und ermordet werden“, erklärte er unter lautem Applaus aus den eigenen Reihen.

Weidel greift Scholz und Merz an
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel nutzte die Debatte, um sowohl Scholz als auch Merz scharf anzugreifen. Sie bezeichnete die Regierungserklärung des Kanzlers als „ungeheuerlich“ und warf ihm „autoritäres Denken“ vor. „Das ist Demokratie ohne Volk, Demokratie ohne Wähler“, wetterte Weidel. Die Brandmauer gegen die AfD sei lediglich ein Mittel, um die Meinung von Millionen Bürgern auszuschließen. Gleichzeitig warf sie der Union vor, ihre Migrationsvorschläge von der AfD abgekupfert zu haben.
Schicksalsabstimmung: Unions-Vorschläge auf der Kippe
Die Union ließ über zwei Anträge abstimmen. Einer davon, ein Fünf-Punkte-Plan gegen irreguläre Migration, bekam mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit. Gefordert wird darin unter anderem ein generelles Einreiseverbot für Menschen ohne gültige Papiere – selbst dann, wenn sie Asyl beantragen wollen. Am Freitag folgt die Abstimmung über das sogenannte „Zustrombegrenzungsgesetz“, das den Familiennachzug für Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus beenden soll.
Ein Antrag wurde mit einer knappen einfachen Mehrheit angenommen. Während SPD, Grüne und Linke dagegen stimmten, hatten AfD und FDP Unterstützung für den Fünf-Punkte-Plan angekündigt. Auch das BSW von Sahra Wagenknecht wollte dem Gesetz zur Begrenzung der Migration zustimmen. Ein zweiter Antrag fiel mit großer Mehrheit durch.
Nach Bekanntgabe des Ergebnisses brannte in der AfD-Fraktion Jubel auf.
Aschaffenburg-Attentat: Migrationspolitik dominiert den Wahlkampf
Auslöser für die hitzige Debatte und die Anträge ist der Messerangriff von Aschaffenburg, bei dem ein ausreisepflichtiger Afghane zwei Menschen – darunter einen zweijährigen Jungen – tötete und mehrere weitere schwer verletzte. Seitdem steht das Thema Migration im Fokus des Bundestagswahlkampfs.
Die Union sieht sich durch die Bluttat in ihrer Forderung nach einer drastischen Verschärfung der Asylpolitik bestätigt. „Wir sind es den Opfern schuldig, endlich zu handeln“, erklärte Merz. Scholz hingegen hält die Vorschläge der Union für „offensichtlich rechtswidrig“ und wirft Merz vor, die Grundlagen der Demokratie zu missachten.
„Ein Kanzler darf kein Zocker sein!“ – Scholz attackiert Merz
Mit deutlichen Worten stellte der Kanzler die Regierungsfähigkeit von Merz infrage: „Es gibt Grenzen, die darf man als Staatsmann nicht überschreiten! Politik ist kein Pokerspiel, und der Zusammenhalt Europas ist kein Spieleinsatz. Ein deutscher Kanzler darf kein Zocker sein – denn er entscheidet im schlimmsten Fall über Krieg oder Frieden.“
Merz konterte scharf und wies die Vorwürfe der Rechtswidrigkeit zurück. Er berief sich auf Artikel 72 des EU-Vertrags, der nationale Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit erlaube. „Wie viele Kinder müssen noch sterben, bevor Sie erkennen, dass wir ein Sicherheitsproblem haben?“, fragte er in Richtung der Ampel-Fraktionen.
Scholz: „Merz hat den Grundkonsens der Demokraten gebrochen“
Besonders scharf ging Scholz Merz in der AfD-Frage an. „Die Union akzeptiert die Unterstützung derer, die unsere Demokratie bekämpfen und unser vereintes Europa verachten. Das ist ein unverzeihlicher Fehler!“ Seit über 75 Jahren habe es in Deutschland einen parteiübergreifenden Grundkonsens gegeben, sich nicht mit der extremen Rechten einzulassen – „und Sie haben ihn im Affekt aufgekündigt“, warf er Merz vor.
Merz blieb hart und verwies darauf, dass alle bisherigen Versuche, mit der Ampel zu einer Einigung in der Migrationspolitik zu kommen, gescheitert seien. „Ich werde tun, was notwendig ist – auch wenn mir das nicht gefällt.“

Robert Habeck spricht von Schicksalstag
Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck sieht den Umgang mit Unionsplänen zur Verschärfung des Migrationsrechts als Wegscheide. Es werde dabei nicht irgendeine Sachfrage entschieden, vielmehr werde die politische Mitte Deutschlands verhandelt, sagte der Vizekanzler bei einer Debatte im Berliner Bundestag. Er sprach von einem Schicksalstag.
An Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) gewandt, sagte Habeck: „Lieber Herr Merz, ich glaube Ihnen die Betroffenheit, das Engagement und den Einsatz für Sicherheit in Deutschland.“ Aber auch ein Kanzler stehe nicht über dem Recht.
Kirchen warnen vor „massivem Schaden“ für die Demokratie
Kurz vor der Abstimmung meldeten sich auch die Kirchen zu Wort. In einer gemeinsamen Erklärung der Berliner Vertretungen der katholischen und evangelischen Kirche warnten sie vor einer Aushöhlung der Demokratie. „Wir befürchten, dass die politische Kultur in Deutschland schweren Schaden nimmt, wenn dieses Versprechen gebrochen wird“, hieß es mit Blick auf die Brandmauer gegen die AfD.
Eine aktuelle YouGov-Umfrage zeigt, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung verändert. Während 42 Prozent der Befragten eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnen, sind 22 Prozent offen für eine Kooperation in Sachfragen. Weitere 30 Prozent sprechen sich sogar für mögliche Regierungsbündnisse mit der Partei aus.
Bundestag gedenkt der Aschaffenburg-Opfer – Steinmeier warnt
Zum Auftakt der Debatte hielten die Abgeordneten eine Gedenkminute für die Opfer von Aschaffenburg ab. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas mahnte zu einer sachlichen Diskussion. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte in einer Gedenkstunde an die Millionen Holocaust-Opfer und warnte vor einer Rückkehr zu antidemokratischen Entwicklungen. Ohne direkt auf die AfD-Debatte einzugehen, appellierte er: „Gehen wir nicht zurück in eine dunkle Zeit. Nehmen wir die Feinde der Demokratie ernst.“
Abstimmung mit Signalwirkung – Scholz lehnt Umsetzung ab
Selbst nachdem die Unions-Anträge beschlossen wurden, hat das keine direkten Konsequenzen. Die Bundesregierung ist nicht verpflichtet, sie umzusetzen. Kanzler Scholz machte bereits deutlich: „Das ist heiße Luft.“ Doch die Signalwirkung bleibt – und könnte den Wahlkampf weiter anheizen. ■