Während auf  dem Land gekämpft wird, gehen in Kabul Bomben hoch. Hier zerriss eine vier Menschen in einem Kleinbus.
Während auf  dem Land gekämpft wird, gehen in Kabul Bomben hoch. Hier zerriss eine vier Menschen in einem Kleinbus. Foto: AP/Rahmat Gul

Während die internationalen Truppen ihren Abzug aus Afghanistan vorantreiben, erobern die islamistischen Taliban weitere Gebiete. Binnen 48 Stunden fielen am Wochenende drei Bezirke in drei Provinzen an sie, in der Nacht zum Dienstag zwei weitere. Elf Bezirke gerieten somit seit dem Beginn des offiziellen Abzugs der US- und anderer Nato-Truppen am 1. Mai unter die Kontrolle der Islamisten, einer davon nur rund 30 Kilometer von der Hauptstadt Kabul entfernt.

Afghanistan ist in rund 400 Bezirke in 34 Provinzen gegliedert. Einem jüngsten UN-Bericht zufolge kontrollieren oder kämpfen die Taliban um die Kontrolle von geschätzten 50 bis 70 Prozent des Territoriums des Landes außerhalb der Städte. 

Mehr als 20 Tage lang hatten die Taliban beispielsweise das Bezirkszentrum von Doab belagert und von jeglicher Versorgung abgeschnitten, erzählt der Parlamentarier Ismail Atikan aus der Provinz Nuristan im Osten des Landes.  Schließlich hätten Älteste in dem Gebiet mit den Taliban vereinbart, dass Polizisten, Militärs und Mitglieder der Bezirksverwaltung abziehen dürften. „Sie haben am Ende den Bezirk dem Feind kampflos überlassen“, sagt Atikan.

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Die Taliban-Übernahmen anderer Bezirke gingen deutlich blutiger über die Bühne. Neben Kaisar in der Provinz Fariab griffen die Taliban in der Provinz Balch am Wochenende ein Polizeihauptquartier an. In Kaisar und Balch wurden Dutzende getötete Polizisten oder Soldaten befürchtet.  

Beobachter hatten eine Intensivierung der Kämpfe vorausgesagt, sobald die internationalen Truppen mit ihrem Abzug beginnen. Die Islamisten sind angesichts des bevorstehenden US-Abzugs, ihrem Hauptziel in den vergangenen 20 Jahren, hoch motiviert.

Afghanische Soldaten im Felde. Die Taliban wollen sie zermürben.
Afghanische Soldaten im Felde. Die Taliban wollen sie zermürben. Foto: dpa/XinHua/Sanaullah Seiam

Die regulären Truppen der Armee und der Polizei hingegen straucheln. Sie fühlen sich von den internationalen Truppen im Stich gelassen. Gut ausgebildete und kampfbereite Spezialeinheiten der Armee, die allerdings nur einen Bruchteil der Truppen ausmachen, müssen nun pausenlos überall aushelfen.

Afghanische Soldaten beklagen unfähige Generäle

Unter Soldaten erklärt man sich die jüngsten Gebietsverluste so, dass vielerorts Posten jüngst mit unerfahrenen Offizieren besetzt wurden. Gleichzeitig gebe es Generäle, die sich nun profilieren wollten und   Truppen auf gut Glück losschickten. Aus Militärkreisen heißt es auch, ein Teil der Militärführung sei mehr damit beschäftigt, Überbleibsel aus US-Camps wie gepanzerte Autos für persönliche Zwecke zu sichern als Gebiete zu verteidigen.

Thomas Ruttig vom Kabuler Afghanistan Analysts Network bemerkt das aktuelle Tempo der Angriffe. „Die Eroberung von mehreren Distrikten in wenigen Tagen hat es lange nicht gegeben. Die Taliban wollen den militärischen Druck hochhalten, die Regierungstruppen beschäftigen und vielleicht auch durch Überlastung demoralisieren.“

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Für die Regierung seien die Übernahme der Bezirkszentren - die Gebiete rund um diese seien ja meist schon lange in der Hand der Taliban - Kontroll- und Souveränitätsverluste. Noch aber handle es sich eher um periphere Gebiete. Ruttig will daher noch keinen „großen Marsch“ der Taliban an die Macht erkennen. Bezirkszentren würden immer wieder auch zurückerobert. Für signifikante militärische Fortschritte ginge es eher um Provinzhauptstädte.

Das afghanische Verteidigungsministerium spricht von Plänen, die Bedrohungen zu beseitigen. In den jüngst verlorenen Gebieten werde sich die Situation sehr bald normalisieren.

Unklar ist, ob die USA und andere Nato-Truppen zu einer solchen Normalisierung noch viel beitragen. Sie sind damit beschäftigt, Material aus dem Land zu schaffen oder - zum Ärgernis vieler Afghanen - vor Ort zu vernichten. Bis spätestens 11. September sollen alle internationalen Soldaten, darunter die Bundeswehr, aus dem Land sein. Friedensgespräche treten weiter auf der Stelle.