Richter entscheiden

Chaos im Thüringer Landtag: AfD sorgt für Eklat – Rechtsstreit und Machtkampf

Verfassungsrechtler sprechen von einem „inszenierten Schauspiel“ und einem „Tiefpunkt in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus“.

Author - Michael Heun
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AfD-Alterspräsident Jürgen Treutler (links) sorgte für Chaos im Landtag. War sein Verhalten mit Björn Höcke abgestimmt?
AfD-Alterspräsident Jürgen Treutler (links) sorgte für Chaos im Landtag. War sein Verhalten mit Björn Höcke abgestimmt?Martin Schutt/dpa

Im Thüringer Landtag spitzt sich die Lage zu. Nach einer turbulenten Sitzung werfen Experten dem AfD-Alterspräsidenten Jürgen Treutler massiven Rechtsbruch und eine Missachtung demokratischer Prinzipien vor. Der Vorfall sorgt für Empörung in den politischen Reihen und heizt den Machtkampf zwischen der AfD und den anderen Fraktionen weiter an.

Die CDU hat bereits eine einstweilige Verfügung beim Landesverfassungsgericht beantragt. Sie wirft Treutler vor, die Rechte des Parlaments und einzelner Abgeordneter verletzt zu haben. Eine Entscheidung der Verfassungsrichter wird für den Abend erwartet.

Streit um das Präsidentenamt eskaliert

Im Zentrum des Dramas steht das heiß umkämpfte Vorschlagsrecht für das Amt des Landtagspräsidenten, das zwischen der AfD und den anderen Fraktionen umstritten ist. Die CDU will erreichen, dass Treutler einen Antrag aufruft und abstimmen lässt, wonach das Vorschlagsrecht auf alle Fraktionen erweitert wird. Bisher liegt es bei der stärksten Fraktion, die in Thüringen erstmals in einem Landesparlament von der AfD gestellt wird.

CDU, BSW, Linke und SPD haben bereits angekündigt, dass sie keinen AfD-Kandidaten in das zweithöchste Staatsamt in Thüringen wählen werden. Die AfD mit ihrem Rechtsaußen Björn Höcke ist vom Landesverfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft und wird beobachtet. Einen der vier Landtagsvizeposten soll aber auch die AfD beanspruchenden können, machte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, deutlich.

Landtagspräsident: Die CDU will Thadäus König zur Wahl stellen.
Landtagspräsident: Die CDU will Thadäus König zur Wahl stellen.Matthias Wehnert/Imago

„Tiefpunkt des Parlamentarismus“

Politikwissenschaftler und Verfassungsrechtler sind alarmiert. Der Erfurter Experte André Brodocz sprach von einem „Tiefpunkt in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus“. Die AfD habe auf „beispiellose Weise“ die Prinzipien der Demokratie missachtet.

Michael Brenner, Verfassungsrechtler aus Jena, zeigte sich ebenfalls entsetzt und sprach von einem „inszenierten Schauspiel“ der AfD. Seiner Meinung nach habe die Partei die Sitzung bewusst instrumentalisiert, um die Geschäftsordnung und die Verfassung „vorzuführen“ und auszutesten, wie weit sie gehen kann.

Schwere Vorwürfe gegen AfD-Präsidenten

Normalerweise ist eine konstituierende Sitzung mit der Wahl des Landtagspräsidenten Formsache und geht schnell über die Bühne. In Erfurt geriet die Sitzung jedoch zum Polit-Theater mit teils chaotischen Situationen und endete in einer Krise. Im Kern ging es um die Wahl des Landtagspräsidenten. Als stärkste Fraktion hat die AfD das Vorschlagsrecht, sie hat aber keinen Anspruch darauf, dass ihre Kandidatin auch gewählt wird. CDU und BSW wollen vor der Wahl die Geschäftsordnung ändern, damit gleich von Anfang an auch andere Fraktionen Kandidaten vorschlagen können.

Während der chaotischen Sitzung ignorierte Alterspräsident Jürgen Treutler wiederholt Anträge der Abgeordneten und versuchte, ihnen das Wort zu entziehen. Mehrere Wortmeldungen ließ er nicht zu, was zu wütenden Reaktionen führte. Man habe sehen können, wie eine Minderheit versucht habe, der Mehrheit ihren Willen aufzuzwingen, sagte Brodocz. „Ich würde vor allem ein Verstoß gegen das freie Mandat der Abgeordneten sehen. Weil dieses Mandat auch das Recht beinhaltet, am parlamentarischen Prozess teilnehmen zu können, Anträge stellen zu können, Reden halten zu können“, sagte der Verfassungsrechtler Brenner.

Die AfD weist Vorwürfe wütend zurück

Die AfD weist die Vorwürfe entschieden zurück. In ihrer Stellungnahme an das Verfassungsgericht argumentiert die Partei, dass die Geschäftsordnung des Landtags klar vorsehe, dass nach Feststellung der Beschlussfähigkeit direkt der Landtagspräsident gewählt werden müsse. Die CDU und andere Fraktionen hätten versucht, die Regeln nach ihren Vorstellungen zu ändern, was die AfD als „gesetzeswidrig“ bezeichnet.

Zudem kritisiert die AfD das Verhalten der Landtagsverwaltung und wirft ihr „Feindseligkeit“ gegenüber Treutler vor. Der Alterspräsident habe lediglich die vorläufige Tagesordnung abarbeiten wollen, sei jedoch von den Abgeordneten daran gehindert worden.

Zukunft der AfD im Landtag ungewiss

Nach Ansicht von Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD) zeigt die Krise im Landtag, dass die AfD keine Partei ist, die Verantwortung tragen sollte. Sie sagte am Rande einer Bundesratssitzung in Berlin: „Jeder Bürger, jede Bürgerin muss wissen, das Chaos, was die AfD anrichtet, diese Willkür, wird herrschen in jedem Bereich unseres Lebens, ob im Bereich der Gesundheit, ob im Bereich der Bildung und der Wirtschaft, wenn die AfD in Regierungsverantwortung kommt.“

Das, was am Donnerstag im Landtag von Thüringen geschehen sei, „ist nur der Anfang“, sagte Schwesig. Alle, die meinten, die AfD solle doch einmal in Verantwortung kommen, dann werde sie sich schon von allein entzaubern, hätten dort sehen können, wohin diese angebliche Entzauberung führen würde: ins Chaos. ■