Alexej Nawalny und seine Frau Julia im Flugzeug nach Moskau.
Alexej Nawalny und seine Frau Julia im Flugzeug nach Moskau. Foto: Alexei Navalny Instagram account/AP/dpa

Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist nach seiner Rückkehr nach Moskau festgenommen worden. Weil Sympathisanten ihn am Flughafen Wnukowo erwarteten, wurde die Maschine im letzten Moment zum Airport Scheremetjewo umgeleitet. Nawalny war am frühen Sonntagnachmittag mit der Billigfluglinie Pobeda („Sieg“) vom BER abgeflogen, knapp fünf Monate, nachdem er am 22. August 2020 vergiftet und bewusstlos aus Sibirien zur Behandlung in die Charité gebracht worden war. 

Der 44-Jährige mied bei der freiwilligen Abreise vom Terminal 5, dem alten Flughafen Schönefeld, den Kontakt zu dem Rudel Journalisten vor der Tür und zu der Handvoll Unterstützer, die gekommen waren.

Dimitri Nass kam extra aus Wolfsburg, um Nawalny seine Unterstützung zu zeigen – er bekam ihn aber nicht zu Gesicht.
Dimitri Nass kam extra aus Wolfsburg, um Nawalny seine Unterstützung zu zeigen – er bekam ihn aber nicht zu Gesicht. Foto: Markus Wächter

Der IT-Spezialist Dimitri Nass (38) war extra aus Wolfsburg angereist, um Nawalny seine Unterstützung zu zeigen. Er hatte ein Plakat dabei, das auf eine russische Sage anspielte: „Zerbrich die Nadel Koschtscheis und befreie Russland.“ Mit dem Zerbrechen der Nadel, in der die Seele des bösen „Koschtscheis des Unsterblichen“ sitzt, mit dem Präsident Wladimir Putin gemeint ist, verliert der seine Macht.

Ekaterina Raykova-Merz und ihr Mann Andreas Merz-Raykov mit ihrem Plakat: „Die Zeit der Diktatoren ist vorbei. Putin hat Angst vor Nawalny.“
Ekaterina Raykova-Merz und ihr Mann Andreas Merz-Raykov mit ihrem Plakat: „Die Zeit der Diktatoren ist vorbei. Putin hat Angst vor Nawalny.“ Foto: Markus Wächter

Das russisch-deutsche Ehepaar Ekaterina Raykova-Merz (33) und Andreas Merz-Raykov (40) verkündete auf seinem Plakat, dass „die Zeit der Diktatoren vorbei“ sei, und dass Putin Angst vor Nawalny habe. Die Übersetzerin und der Regisseur „befürchten das Schlimmste“, wenn Nawalny in Moskau eintrifft: „Die Gefangenenwagen sind dort schon vorgefahren.“ Sie seien ob seiner Entscheidung, nach Russland zurückzukehren, zwiegespalten.

Tatsächlich war die Polizei schon Stunden vor der Landung am Flughafen Wnukowo aufgefahren. Russlands bekanntester Oppositioneller hatte bereits vor der Abreise gewusst, dass er nach der Landung mit einer Festnahme rechnen musste, weil er wegen seines Aufenthalts in Deutschland Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren nicht erfüllt haben soll.

Polizisten überwältigen auf dem Flughafen Wnukowo einen mutmaßlichen Unterstützer Alexey Nawalnys.
Polizisten überwältigen auf dem Flughafen Wnukowo einen mutmaßlichen Unterstützer Alexey Nawalnys.    Foto: AP/Dimitri Serebryakow

Nawalny hatte stets darauf verwiesen, dass er sich in Deutschland von dem Anschlag erhole und sich deshalb nicht persönlich  bei den Behörden in Moskau habe melden können. Russlands Strafvollzugsbehörde hat ihn dennoch zur Fahndung ausgeschrieben und war bereit, ihn in Gewahrsam zu nehmen. Außerdem wird ihm vorgeworfen, Spendengelder unterschlagen zu haben.

Unterstützer Nawalnys in Russland berichteten, sie seien in St. Petersburg an der Reise nach Moskau gehindert worden. Andere Sympathisanten meldeten, dass sie nicht zum Flughafen fahren durften. Russische Sicherheitskräfte sind auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo massiv gegen Unterstützer des Kremlgegners Alexej Nawalny vorgegangen.

Es gab dort mehrere Festnahmen, wie eine Reporterin der dpa am Sonntag aus dem Terminal berichtete. Unter den Festgenommenen waren auch Nawalnys engste Mitarbeiterin, die Juristin Ljubow Sobol, sowie weitere Aktivisten. Uniformierte drängten Menschen zurück, die Nawalny empfangen wollten. Die auf Anti-Terror-Einsätze spezialisierte Sonderpolizei OMON hatte mit mehreren Gefangenentransportern Stellung bezogen. 

Nawalny war am 20. August auf einem Flug vom sibirischen Tomsk nach Moskau kollabiert. Nur wegen der unplanmäßigen Zwischenlandung in Omsk und schneller Behandlung dort hatte er offenbar überlebt.

Danach begannen russische Stellen, die Ursache der Vergiftung zu vernebeln. Nawalny wurde unter anderem auf Druck seiner Frau Julia nach Berlin gebracht, lag wochenlang in der Charité im Koma.

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Verschiedene Labore in Deutschland, Frankreich und Schweden sowie der Organisation für das Verbot chemischer Waffen zeigten, dass das sowjetische Nervengift Nowitschok Ursache für den Kollaps war. Das britische Recherchenetzwerk Bellingcat und Journalisten des russischen Internet-Mediums The Insider machten ein Agenten-Team des russischen Geheimdienstes FSB als Täter aus.

Der gesundete Nawalny führte im Dezember unter falschem Namen und der vorgetäuschten Identität eines Mitarbeiters des russischen Sicherheitsrats ein Telefonat mit einem Mann, der diesem Team angehört haben soll. Dabei sagte der mutmaßliche FSB-Agent, das Gift, das auch bei Hautkontakt wirkt, sei in Nawalnys Unterhose platziert worden.

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Nawalny hatte mehrfach erklärt, er mache Wladimir Putin persönlich für den Anschlag verantwortlich. Russland wies das ebenso häufig zurück. Russische Offizielle hatten auch behauptet, Nawalny sei erst auf dem Flug nach Berlin vergiftet worden.

Der Historiker und Russland-Kenner Prof. Dr. Karl Schlögel, der ebenfalls vergeblich in Schönefeld gewartet hatte, nannte Nawalny einen „Patrioten“, der dazu beitragen könne, Russland aus der Sackgasse zu holen, in die Putin das „große Land mit seinen fähigen Menschen“ geführt habe.

Prof. Dr. Karl Schlögel besucht und erforscht die Sowjetunion und Russland seit Jahrzehnten.
Prof. Dr. Karl Schlögel besucht und erforscht die Sowjetunion und Russland seit Jahrzehnten. Foto: Markus Wächter

Nawalny habe geholfen, Öffentlichkeit in dem Riesenland herzustellen, in dem es ein pulsierendes Denken gebe, und einen Gegenpol zu der „üblen, niederträchtigen, kriegstreiberischen“ Propaganda zu schaffen, wie sie beispielsweise der Moderator Wladimir Solowjow im russischen Fernsehen verbreite. Schlögel, der seinen Besuch am Flughafen eine „symbolische Geste – aus Ohnmacht“ nannte, begrüßte es deshalb, dass Nawalny nach Russland zurückkehre.