Es ist ein bizarrer Vermisstenfall und die Umstände sind bis heute mehr als nebulös: Im Jahr 2018 verschwand der Erbe der Tengelmann-Gruppe, Karl-Erivan Haub, bei einem Skiausflug in den Schweizer Alpen. 2021 wurde er für tot erklärt. Doch es verdichten sich Hinweise, dass der Mann möglicherweise noch am Leben ist – und sich nach Russland abgesetzt hat. Die mutmaßlichen Umstände taugen für einen Agentenkrimi.
Nun hat die Staatsanwaltschaft Köln ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der falschen Versicherung an Eides statt gegen den Chef der Tengelmann-Gruppe, Christian Haub, eingeleitet. Die Ermittlungen stehen im Zusammenhang mit dem Verschwinden seines Bruders, des früheren Chefs der Gruppe, Karl-Erivan Haub. Christian Haub weist den Vorwurf zurück.

Ermittlungen gegen Haub-Bruder wegen Aussage zu Verschwinden von Tengelmann-Erbe
Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer teilte der Deutschen Presse-Agentur vergangene Woche mit: „Aufgrund einer erstatteten Strafanzeige wird dem Vorwurf nachgegangen, der Bruder des Verschollenen, Christian Haub, habe im Mai 2021 vor dem Amtsgericht Köln eine Versicherung an Eides statt abgegeben, die teilweise falsch gewesen sei.“
In der Strafanzeige ist unter anderem vorgetragen worden, dass dem Beschuldigten – entgegen seinen Angaben – belastbare Hinweise darauf vorgelegen hätten, dass der verschollene Karl-Erivan Haub noch leben könnte.“ Die Ermittlungen dauerten an. „Auf die für den Beschuldigten geltende Unschuldsvermutung wird ausdrücklich hingewiesen.“

Staatsanwaltschaft leitete trotz „erdrückender Indizien“ zunächst kein Verfahren ein
Zunächst hatte ein Team von RTL-Journalisten im vergangenen Juni Anzeige erstattet. Zuvor hatten die Behörden, die nach Darstellung der Journalistin Liv von Boetticher „erdrückenden Indizien“ nicht zum Anlass genommen, ein Verfahren einzuleiten, wie sie in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Capital erklärte.
Laut der Journalistin existierten Fotos, die vermutlich den Vermissten zeigten. Sie wurden im Februar 2021 in Moskau aufgenommen. Die Bilder stammten von dem biometrischen Überwachungssystem in Russlands Hauptstadt. Laut dem Interview mit der Journalistin soll der Bruder des Verschwundenen diese Bilder über zwei für ihn arbeitende interne Ermittler erhalten haben. Die Privatermittlungen sollen bereits seit 2018 laufen. In der eidesstattlichen Versicherung hatte Haub andere Angaben dazu gemacht.

Flucht nach Moskau statt Bergunfall?
Die privaten Ermittlungen sollen zudem ergeben haben, dass ein Bergunfall eher unwahrscheinlich sei. Eine wochenlange Suche nach dem Vermissten brachte damals keine Ergebnisse. Stattdessen gebe es Spuren, die nach Russland führten. Karl-Erivan Haub könnte in dubiose Geschäfte mit russischen Partnern verwickelt gewesen sein. Zudem hatte er seit mehr als zehn Jahren Kontakt zu einer Russin. Die Frau, die Veronika Ermilova heißen soll, leitet offiziell eine Event-Agentur in St. Petersburg. Doch sie soll auch für den russischen Inlandsgeheimdienst FSB arbeiten. Handfeste Beweise für die Geheimdienst-Verbindung gibt es bisher jedoch nicht.
Doch vor seinem Verschwinden habe Karl-Erivan Haub 13 Telefongespräche mit der Frau geführt. Einige hätten längere Zeit gedauert. In den Jahren zuvor traf er sie mehrfach auf Geschäftsreisen, reiste auffällig oft zu den selben Orten wie Ermilova.
Karl-Erivan Haub, einer der reichsten Deutschen, war im April 2018 in Zermatt allein zu einer Skitour aufgebrochen und nicht zurückgekehrt. Die Familie geht davon aus, dass der damals 58-Jährige am Klein Matterhorn tödlich verunglückte. 2021 wurde Haub vom Kölner Amtsgericht für tot erklärt. Immer wieder gab es seitdem Medienberichte über Zweifel am Tod des erfahrenen Skiläufers.

Karl-Erivan Haub gilt bei Behörden weiter als tot
Das Gericht hielt sie aber nicht für belegbar. Nach dem Verschwinden von Karl-Erivan Haub hatte dessen jüngerer Bruder Christian die alleinige Geschäftsführung in dem milliardenschweren Handelskonzern übernommen, zu dem unter anderem der Textil-Discounter Kik und die Baumarktkette Obi gehören.
Die Staatsanwaltschaft Köln wies zur Klarstellung darauf hin, dass bislang kein Anlass bestehe, die Aufhebung der Todeserklärung für Karl-Erivan Haub zu beantragen. Hierfür müsste feststehen, dass der Verschollene die Todeserklärung überlebt habe. „Dies ist derzeit nicht der Fall“, betonte Bremer.
Christian Haubs Anwalt Mark Binz wies den Vorwurf unrichtiger Angaben zurück. „Selbstverständlich ist an dem Vorwurf nichts dran“, teilte er mit. „So hat es bis vor wenigen Wochen auch noch die Staatsanwaltschaft Köln gesehen und daher die Aufnahme von Ermittlungen abgelehnt.“ ■