Geschäft mit der Angst

IGeL-Leistungen: Deutsche zahlen 2,4 Milliarden Euro für zweifelhafte Untersuchungen

Die Deutschen geben beim Arzt viel Geld aus für Untersuchungen, die die Kassen nicht zahlen. Dabei sind diese oft ohne Nutzen oder können sogar schaden.

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Die Augeninnendruckmessung zur Glaukomvorsorge gehört zu den IGel-Untersuchungen, für die Patienten selbst zahlen müssen.
Die Augeninnendruckmessung zur Glaukomvorsorge gehört zu den IGel-Untersuchungen, für die Patienten selbst zahlen müssen.Pond5 Images / Imago

Ob Augeninnendruck oder manche Ultraschall-Untersuchung. Geht man zum Arzt, werden einem immer wieder Untersuchungen angeboten oder nahe gelegt, die der Vorsorge dienen sollen. Die aber von der Krankenkasse nicht erstattet werden. Gesetzlich Versicherte zahlen für sogenannte Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) jährlich insgesamt mindestens 2,4 Milliarden Euro - obwohl diese großteils ohne Nutzen sind oder sogar schaden können.

Die Umfrage zu den IGeL-Untersuchungen wurde im Auftrag des Medizinischen Dienstes (MD) durchgeführt. Die jährlich 2,4 Milliarden Euro, die die Deutschen für solche Untersuchungen aus eigener Tasche bezahlen, sind mehr als bislang gedacht. Der MD war vor der Umfrage durch das Forsa-Institut von einer bis anderthalb Milliarden Euro jährlich ausgegangen. Auch das schon eine beeindruckende Summe – dabei hätten die IGeL oft keinen nachgewiesenen Nutzen, erläuterte der MD-Vorsitzende Stefan Gronemeyer. Mitunter drohten sogar folgenschwere falsch-positive Ergebnisse, die den Betroffenen schaden könnten.

Von 56 untersuchten individuellen Gesundheitsleistungen sind demnach 30 „tendenziell negativ“ oder „negativ“, wie der am Dienstag in Berlin vom MD vorgestellte sogenannte IGeL-Monitor zeigt. Bei 23 Leistungen ist das Ergebnis „unklar“, das heißt, für ihren Nutzen gibt es meistens keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege. Lediglich drei sind „tendenziell positiv“. Den Patientinnen und Patienten fehle oft das nötige Wissen zu IGeL-Leistungen, in den Praxen werde nur unzureichend darüber aufgeklärt.

Bei den meisten IGel-Leistungen ist der Nutzen fraglich

Zu den häufigsten der Leistungen, die Versicherte aus eigener Tasche zahlen, gehören Ultraschalluntersuchungen der Eierstöcke und Gebärmutter zur Krebsfrüherkennung, die Augeninnendruckmessung zur Glaukomvorsorge oder die PSA-Bestimmung zur Früherkennung von Prostatakrebs. Diese Leistungen werden von den IGeL-Experten allerdings als „negativ“ oder „tendenziell negativ“ bewertet, es gibt also Hinweise auf mögliche Schäden oder Nebenwirkungen.

Beim Ultraschall von Eierstöcken und Gebärmutter zur Krebsfrüherkennung kann es demnach zu vielen falsch-positiven Ergebnissen und damit zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Eingriffen kommen. Zugleich sei nicht belegt, dass das Risiko, an Eierstockkrebs zu sterben, damit verringert werden könne.

Nur drei Selbstzahlerleistungen bewertet der IGeL-Monitor wissenschaftlich mit „tendenziell positiv“. Dazu zählen die Akupunktur zur Migränevorbeugung und die Lichttherapie bei einer saisonal depressiven Störung, der sogenannten Winterdepression.

Selbstzahlerleistungen seien „kein Randproblem“, sondern „ein Massenphänomen“, kritisierte Stefan Gronemeyer. Er nannte es bedrückend, dass Patientinnen und Patienten „aus Unwissenheit und Sorge um ihre Gesundheit große Summen für fragwürdige und sogar schädliche Leistungen ausgeben“.

Patienten werden nicht richtig informiert

In der Forsa-Befragung gab nur jeder viere Versicherte (26 Prozent) an, gut informiert zu sein. Zwei von drei Befragten gingen zudem von der falschen Annahme aus, dass die Selbstzahlerleistungen medizinisch notwendige Leistungen seien. Befragt wurden 2013 Versicherte im Alter zwischen 18 und 80 Jahren.

Gronemeyer nannte die unzureichende Aufklärung über mögliche Schäden durch Selbstzahlerleistungen „nicht akzeptabel“. Er forderte eine Verpflichtung von Arztpraxen, allgemeinverständliche Informationen auszulegen, wenn sie solche Leistungen anbieten. Der Verbraucherzentrale Bundesverband nannte es „bedenklich“, dass sich individuelle Gesundheitsleistungen als Geschäftsmodell in Arztpraxen längst etabliert hätten.

Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, sieht einen „direkten Zusammenhang“ zwischen dem Anstieg bei den Privatleistungen und den immer längeren Wartezeiten von gesetzlich Versicherten auf Facharzttermine. „Wenn ein Facharzt seine Zeit mit Schönheitsbehandlungen oder fragwürdigen Vorsorgeuntersuchungen ohne wissenschaftlich belegbaren Nutzen verbringt, fehlen eben Kapazitäten für die vertragsärztliche Versorgung“, kritisierte die AOK-Chefin. ■