So häufig wie in den vergangenen Tagen war die Stadt Neubrandenburg nördlich des Bundeslandes Brandenburg selten in den bundesweiten Schlagzeilen: Es geht um eine umstrittene Entscheidung der Neubrandenburger Stadtvertretung, die Regenbogenfahne am Bahnhof der Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern künftig nicht mehr zu hissen. Zuvor hatte es mehrere Angriffe von Rechtsextremen auf die Flagge gegeben, die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt symbolisiert. Die Flagge ist deshalb ein Reizobjekt von Neonazis, die queere Menschen anfeinden und bedrohen – obwohl einige Schwule und Lesben ganz vorne in rechtsextremen Parteien und Organisationen mitmischen.
In Neubrandenburg hatten vermeintlich Unbekannte die Regenbogenflagge am Bahnhof mehrmals gegen eine Fahne mit einem Hakenkreuz ausgetauscht. Angehörige der regionalen Neonazi-Szene sind aber eigentlich bekannt, der Tollensesee im Südwesten der Stadt ist seit 20 Jahren ein Treffpunkt der rechtsextremen Szene in Mecklenburg-Vorpommern, die dort mit mehreren Gruppierungen jährlich zusammenkommt.
Unbekannte ersetzten Regenbogenfahne in Neubrandenburg durch Nazi-Flagge
Obwohl der Kreis der Tatverdächtigen eng umgrenzt ist, konnten die Täter nicht ermittelt werden. Die Stadt sah sich offensichtlich außerstande, weitere Übergriffe auf die symbolische Fahne zu unterbinden. Vor diesem Hintergrund stellte der parteilose Ratsherr Tim Großmüller von der Wählergemeinschaft „Stabile Bürger für Neubrandenburg“ einen folgenreichen Antrag: Die Regenbogenfahne solle überhaupt nicht mehr gehisst werden. Begründung für den Antrag: Damit würden weitere „Straftaten“ wie das Beschädigen der Flagge verhindert. Großmüller geht es dabei aber noch um etwas anderes, wie der Ratsherr ausführte: Das Wappen der Stadt solle nicht mehr in Verbindung mit der Regenbogenflagge stehen, die queere Symbolik also komplett ausgelöscht werden.
Wie mehrere Medien berichten, wird Großmüller, Betreiber eines örtlichen Fitnesscenters und Sonnenstudios, selbst der rechtsradikalen Szene zugerechnet. Entsprechende Positionen werden von seiner Wählergemeinschaft in den sozialen Medien vertreten. Damit erreichte er bei den Kommunalwahlen im Juli allerdings gerade einmal 2,3 Prozent; die in dem Bundesland als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte AfD ging in der Stadt als Wahlsieger mit 21,5 Prozent hervor. Das BSW erreichte 16 Prozent, deren Namensgeberin Sahra Wagenknecht sich ebenfalls sehr deutlich gegen queere Minderheiten geäußert hatte. Auch in den Parteien der vermeintlichen Mitte fanden sich offenbar auch Ratsleute, die das Regenbogenflaggen-Verbot befürworteten – und so erreichte der queerfeindliche Antrag eines Außenseiter-Bündnisses eine Mehrheit.
Neubrandenburg: Offen schwuler Bürgermeister Silvio Witt tritt zurück

Regiert wird die Stadt allerdings von einem offen schwulen Oberbürgermeister, dem parteilosen Silvio Witt. Doch dieser hat nach der Entscheidung der Stadtvertretung bereits seinen Rücktritt zum Mai 2025 bekanntgegeben, obwohl er für das Amt eigentlich bis 2029 bestätigt wurde. Witt hatte sich in der Vergangenheit deutlich für ein weltoffenes und tolerantes Neubrandenburg ausgesprochen – unter anderem als Schirmherr des Christopher-Street-Day (CSD). Dass es überhaupt einen CSD in der Stadt gibt, ist keine Selbstverständlichkeit – in Wismar fand in diesem Jahr zum ersten Mal überhaupt ein CSD statt; rechtsextreme Störer wurden am Bahnhof der Hansestadt abgefangen, sodass die Veranstaltung im September ohne negative Vorkommnisse stattfand.
Oberbürgermeister Witt hat sich zu den Gründen seines Rückzugs nun auf einer Veranstaltung der Körber-Stiftung in Berlin geäußert: „Da ist schon 'ne Menge passiert, da ist schon 'ne Menge Druck, der ausgeübt wird.“ Irgendwann habe das Auswirkungen auf sein Umfeld, auf seinen Ehemann, seine Familie und Freunde gehabt. Ein Schlüsselerlebnis sei gewesen, als seine Mutter ihm morgens eine Whatsapp-Nachricht geschickt habe mit dem Inhalt: „Heute ist es nicht so schlimm, was in der Zeitung steht.“
Protest mit 200 Regenbogenflaggen gegen Entscheidung der Neubrandenburger Stadtvertretung
Deutliche Kritik an der Entscheidung der Neubrandenburger Stadtvertretung gab es vor allem in den sozialen Medien. Von den politischen Parteien äußerte sich die Linksfraktion des Landtags, die von einem „beschämenden Signal“ sprach. Jutta Wegner, Landtagsabgeordnete der Grünen stellte sich ausdrücklich vor Silvio Witt, der sich in den sozialen Medien regelmäßig mit der Regenbogenflagge zeigte. „Die zahlreichen Angriffe, die er in den letzten Jahren ertragen musste, bereiten mir Sorge“, so Wegner. „In der Stadtvertretung, aber auch in der Stadtgesellschaft sind Stimmen laut geworden, die für Spaltung und Hetze und nicht für einen fairen Umgang eintreten.“
Um ein Zeichen gegen den Beschluss der Stadt zu setzen, fand am Sonntag eine Mahnwache vor dem Bahnhof statt. Rund 200 Menschen protestierten nach Angaben der Polizei friedlich - mit zahlreichen Regenbogenfahnen. ■