Warnung vor Anschlägen

Kommentar: Wer profitiert tatsächlich von unserer Terrorangst?

Sicherheitsexperten fokussieren neue Terror-Propaganda und geplante Anschlagsziele des IS, doch worauf fußen die neuen Erkenntnisse, wer profitiert von der Angst vor islamistischen Anschlägen?

Author - Joane Studnik
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Der Anschlag von München: Getötet wurde eine Mutter mit Migrationshintergrund und ihr Kleinkind. Täter war ein junger Mann aus Afghanistan, der sich im Internet radikalisiert haben soll.
Der Anschlag von München: Getötet wurde eine Mutter mit Migrationshintergrund und ihr Kleinkind. Täter war ein junger Mann aus Afghanistan, der sich im Internet radikalisiert haben soll.dpa/Matthias Balk

Ende Januar warnte die US-amerikanische Terror-Analysefirma TRAC vor deutschsprachigen Propaganda-Kanälen des Social-Media-Accounts Al-Saif Media, der dort als inoffizieller IS-Account geführt wird. TRAC berichtet kompetent, teils im Stundentakt von Erkenntnissen zu Terrororganisationen und Propaganda, die in Verbindung mit islamistischen und anderen extremistischen Gruppen weltweit steht. Medienberichten zufolge gehen deutsche Sicherheitsexperten inzwischen von konkreten Anschlagsplänen in mehreren deutschen Städten aus – ausgeführt möglicherweise durch „einsame Wölfe“, die über solche Kanäle radikalisiert würden.

Neue Terrorwelle von „Tiktok-Dschihadisten“? Tatsächlich war der Terror nie weg

Ähnlich argumentiert der deutsche Sicherheitsexperte Peter R. Neumann, der eine neue Welle von „Tiktok-Dschihadisten“ auf uns zurollen sieht. Bei der Diskussion zum Thema fügt Neumann auf X immer wieder den Amazon-Verkaufslink zu seinem aktuellen Buch ein, dessen Titel etwas verwundert: „Die Rückkehr des Terrors“. War der Terror irgendwann weg? Tatsächlich wurden seit 2011 bis heute kontinuierlich jedes Jahr Terroranschläge verübt, Brand- und Mordanschläge mit Sprengsätzen, Messerangriffe und Anschläge mit Fahrzeugen als tödliche Waffe. Von „einsamen Wölfen“ wird in Sicherheitskreisen seit vielen Jahren gesprochen und vermutet, dass sich nicht nur Täter, gelegentlich auch Täterinnen, wie etwa 2016 die Gymnasiastin und Messerstecherin Safia S., über das Internet radikalisierten.

Wie genau sich die Radikalisierung scheinbar grauer Mäuse tatsächlich passiert, darüber entwickeln Sicherheitsexperten zwar Theorien, aber offenbar keine, die bislang taugten, irgendeinen weiteren Anschlag zu verhindern. Verhindert wurden Anschläge allein durch konkrete Erkenntnisse überwiegend von US-Geheimdiensten, von denen wir nicht wissen, ob diese demnächst überhaupt noch zu uns fließen werden – oder vielleicht nach Russland? Deutsche Geheimdienste sind dagegen technisch und organisatorisch überhaupt nicht in der Lage, mit eigenen Kräften die Hinterleute und deren Methoden der Rekrutierung späterer Terroristen zu erkennen.

Welche Rolle spielen Russland, Iran, was genau bezweckt der IS in Deutschland?

Investigative Recherchen untermauern seit Jahren die von Peter R. Neumann als „wilde Spekulation“ abgetane These, dass staatliche Geheimdienste von Staaten wie Iran und Russland Terrororganisationen wie die Hamas, Hisbollah, Al-Kaida und die Taliban unterstützen. Was genau bezweckt eigentlich der IS mit den ihm zugerechneten Anschlägen in Europa? IS-Milizen agieren vor allem in Irak und Syrien – weit weg von Europa und ohne jede Aussicht, hier in absehbarer Zeit Macht zu erlangen.

Mit den ihm zugeschriebenen Anschlägen versucht sich der IS zweifellos zu profilieren, aber konkrete Nutznießer der Anschläge sind feststellbar diejenigen, die die Demokratie in Aufruhr und demokratische Parteien geschwächt sehen wollen. Völlig unabhängig davon, inwieweit staatliche Geheimdienste mit ihrer Expertise bei der Rekrutierung und Manipulation von Tätern mitmischen: Das Ziel ist zweifellos nicht die Machtergreifung des IS in näherer Zukunft, sondern den Glauben an Institutionen wie Verfassungsschutz, Staatsschutz und BND, letztlich an das Funktionieren des Gemeinwesens zu erschüttern.

Das beste Mittel dagegen wäre, die Dienste so auszustatten, dass sie tatsächlich in der Lage wären, Drahtzieher zu identifizieren, notfalls auch ohne Tipps von US-Geheimdiensten die Signale und Sprachcodes in Chatgruppen und auf Tiktok zu entschlüsseln, die aus Extremismus-anfälligen Menschen Terroristen macht. Die Hinterleute wissen genau, wen sie mit ihrer Propaganda triggern, während unsere Dienste weitgehend blind agieren, Screenshots ausdrucken oder Zeitungsartikel auswerten. Solange die für unsere Sicherheit Zuständigen nicht geheimdienstlich geschulten Drahtziehern einen Schritt voraus sind, wird sich das lukrative Geschäft des Terrors noch viele Jahre fortsetzen. ■