Der Juni ist der schönste Monat des Jahres. Meist bestes Wetter, von den Feldrainen grüßen roter Mohn und blaue Kornblumen und an den Berliner und Brandenburger Seen ist es noch nicht so voll wie in den Ferienmonaten. Selbst an der Ostsee hat man kurz vor dem Hochsommer noch nicht dieses beklemmende Ölsardinengefühl. Ich nehme gern im Juni Urlaub - so auch in diesem Jahr. Deshalb passt der Termin der Europawahl am 9. Juni gar nicht in meinen Terminplan. Wer weiß, wo ich an diesem besonderen Sonntag den Frühsommer genießen werde. Ziemlich sicher nicht in Berlin-Pankow, wo mein Wahllokal steht.
Zur Europawahl ins Pankower Rathaus
Doch natürlich will ich meine Stimme abgeben. Also eile ich am vergangenen Donnerstag nach meinem Feierabend ins Pankower Rathaus. Denn das stand in meiner Wahlbenachrichtigung: In der Briefwahlstelle des Bezirks könnte ich ab sofort Briefwahlunterlagen abholen oder gleich wählen - an allen Wochentagen, donnerstags bis 18 Uhr.
Als ich am Rathaus ankomme, ist es schon 17.35 Uhr. Mir schwant nichts Gutes. Wahrscheinlich ist schon zu oder ich finde die zuständige Amtstube nicht schnell genug. Berlin ist ja für vieles weltberühmt, außer für die unfallfreie Organisation von Wahlen. Nicht nur deshalb wohnt auch in meinem Kopf das ein oder andere Vorurteil gegenüber der hauptstädtischen Verwaltung. Ich vermute, dass ich mich sicher gleich sehr ärgern werde und vielleicht sogar nochmal wiederkommen muss.

Doch im Rathaus ist erstmal alles prima ausgeschildert und die Briefwahlstelle schnell zu finden. Allerdings steht eine Schlange vor der Tür, etwa 25 Leute warten. Doch niemand meckert oder murrt. Es geht zügig voran. Als ich dran bin, erläutert mir eine sehr freundliche Mitarbeiterin, wie alles funktioniert. Es gibt neben dem eigentlichen Stimmzettel viel Papier für Briefwähler. Geduldig und zugewandt erklärt mir die Frau vom Amt, welcher Briefumschlag in welchen gehört und wo ich nach der Stimmabgabe das zugeklebte Kuvert einwerfen soll. Als ich mir vorstelle, wie oft sie das heute schon wiederholt hat, wächst mein Respekt vor ihrer entgegenkommenden Art. Sie lächelt und zeigt mir den Weg zu den Wahlkabinen.
Großer Andrang in der Briefwahlstelle in Pankow
Ich frage sie noch, ob es hier an allen Tagen seit der Eröffnung so voll ist. Sie staune auch darüber, sagt sie, dass der Andrang schon groß sei, obwohl es bis zur Europawahl noch gut zwei Wochen dauert. Das habe sie so bei keiner Wahl zuvor erlebt. Ich ziehe mich in eine Kabine zurück und freue mich, wie unkompliziert alles ist. Dass ich meine Brille vergessen habe und den Stimmzettel nur mühsam lesen kann - dafür ist das Bezirkswahlamt nun wirklich nicht verantwortlich. Doch auch ohne Lesehilfe finde ich das Kästchen, in dem ich mein Kreuz machen will. Danach lasse ich das verschlossene Kuvert in die Wahlurne fallen. Ich bin so zufrieden, dass ich der freundlichen Mitarbeiterin fast ein Trinkgeld geben will. Doch dann ziehe ich ohne diesen verbotenen Versuch von dannen. Europawahl - einfach und schnell erledigt für mich.
Ob der Größe des Augenblicks würde ich gern noch in den historischen Pankower Ratskeller einkehren. Doch der ist bereits seit dem Jahr 2000 geschlossen. So habe ich dann doch endlich einen Grund, leise vor mich hin zu schimpfen.
Claudia Pietsch schreibt montags im KURIER über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten.
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