Jahrelang erlebte ich, wie im Westen sozialisierte Menschen großspurig die Errungenschaften von uns Menschen aus dem Osten kleinredeten. Überhaupt war im wiedervereinten Deutschland anfangs alles schlecht, was nur irgendwie nach DDR klang oder roch. Errungenschaften aus dem einstigen Arbeiter-und-Bauern-Staat übernehmen – bloß das nicht.
Für manche Mitmenschen ist sogar das DDR-Ampelmännchen oder der Grüne Pfeil noch immer igittigitt, nur weil es eine Erfindung aus dem Osten ist, in dem ja eh nur alles Stasi war.

Wie ich darauf komme? Weil ich jetzt eine interessante Kehrtwende erlebe. Denn kaum hat das neue Jahr begonnen, erkennen offenbar Leute, die vor fast sechs Jahrzehnten im Westen geboren wurden, dass die Errungenschaften der Ossis doch gar nicht so schlecht waren. Denn jetzt möchte ein gebürtiger Hannoveraner uns in Berlin die gesetzlichen Feiertage kürzen – wie einst Walter Ulbricht in der DDR!
Ich war schon erstaunt, wie Alexander Schirp, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Berlin-Brandenburg (UVB), so ganz nebenbei verkündete, dass man angesichts der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung in der Hauptstadtregion bestimmte Feiertage grundsätzlich auf Sonntage legen sollte, damit unter der Woche kein Werktag betroffen ist.
Schirp denkt da so an den Frauentag (8. März), den Berlin erst jüngst als Feiertag bekam (in der DDR wurden zwar die Frauen an jenem Tag gefeiert, aber er war kein gesetzlicher Feiertag). Und auch auf Pfingstmontag könnten wir ja in Berlin getrost verzichten. Na, das klingt doch echt nach Ulbricht und DDR!
Feiertage opfern: Von der DDR lernen, heißt siegen lernen
Der hatte 1967 im Osten, als Herr Schirp im Westen gerade ein Jahr alt wurde, zwar nicht den Pfingstmontag abgeschafft, aber dafür den Ostermontag. Dazu kamen noch Himmelfahrt, Buß- und Bettag, der Reformationstag (31. Oktober, Berlin hat ihn bis heute nicht als Feiertag) und der Tag der Befreiung (8. Mai). Fünf Feiertage auf einen Schlag, das muss man Ulbricht und der DDR erst einmal nachmachen.
Der UVB-Chef ist da gerade auf dem besten Weg. Feiertage streichen, um die Berliner Wirtschaft anzukurbeln – so motiviert man die arbeitende Bevölkerung in der Hauptstadt garantiert nicht zu weiteren Höchstleistungen. Zumal ja schon viele von ihnen an Wochenenden arbeiten, und nicht alle fürs Schuften auch ordentlich bezahlt werden.
Na, ja – um das Wohl der Arbeitnehmer geht es ja auch gar nicht. Herr Schirp denkt da in ganz anderen Dimensionen. Jeder zusätzliche Arbeitstag brächte Berlin einen volkswirtschaftlichen Nutzen von rund 230 Millionen Euro, sagt er. Und das kommt ja nun allen Berlinern zugute – dem Firmen-Chef genauso wie seinen Angestellten.

Als Walter Ulbricht fünf Feiertage in der DDR strich
Das klingt ja fast so schön, wie damals bei Walter Ulbricht. Als er 1967 fünf Feiertage in der DDR strich, tat er das auch zum Wohle des Volkes. Denn dafür wurde der Sonnabend endlich arbeitsfrei. Denn dieser war damals noch ein Arbeitstag!
Aber dem DDR-Volk so einfach einen zusätzlichen freien Tag in der Woche schenken – das wollte auch die SED-Führung nicht. Denn auch bei den Genossen galt es: Jeder zusätzlicher Arbeitstag stärkt die Volkswirtschaft. Also gab es damals die Überlegung: Man verlängert die restlichen Arbeitstage um jeweils eine halbe Stunde für den freien Sonnabend – oder man opfert Feiertage.
Von der DDR lernen, heißt siegen lernen! Dass dies einmal ein im Westen sozialisierter Wirtschaftsfunktionär tatsächlich machen würde, hätte ich nie für möglich gehalten. Aber wie sagte unser einstiger DDR-Staatschef Honecker doch noch drei Monate vor dem Mauerfall 1989 so schön: „Den Sozialismus in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf!“ Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Norbert Koch-Klaucke schreibt im KURIER Kolumnen über Geschichten aus der Stadt und dem Osten. Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com ■