Es ist ein Alarmsignal, das nicht mehr zu überhören ist: In Deutschland bleiben Arbeitnehmer immer häufiger krank zu Hause. Während in anderen Ländern die Arbeitspflicht strenger gehandhabt wird, explodieren hierzulande die Fehlzeiten. Angeblich. Nun fordert Allianz-Chef Oliver Bäte in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ knallhart die Wiedereinführung eines sogenannten Karenztags – und schon kocht die Debatte hoch.
Ein Tag Krankheit – ein Tag ohne Geld? Das soll nach Bätes Vorstellungen die neue Wirklichkeit für Arbeitnehmer werden. Denn momentan wird bereits ab dem ersten Krankheitstag der volle Lohn weitergezahlt. Ein Zustand, den sich viele andere Länder gar nicht leisten.
Während der EU-Durchschnitt bei nur acht Fehltagen pro Jahr liegt, schaffen es die Deutschen auf 20 Tage. Für Bäte ein klares Zeichen: Hier wird das System schamlos ausgenutzt. Mindestens ebenso schamlos ist Bätes indirekte Unterstellung, in Deutschland würde im großen Stil blaugemacht werden.
Für die Hauptstadt sehen die Zahlen wie folgt aus: Der Krankenstand in Berlin hat im Jahr 2024 neuen Höchststände erreicht, allerdings auf vergleichsweise niedrigem Niveau. In den ersten neun Monaten des Jahres waren Beschäftigte laut Techniker-Krankenkasse durchschnittlich 13,79 Tage krankgeschrieben, was einen leichten Anstieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum (13,77 Tage) darstellt.
Aber, und jetzt kommt’s: Schon im ersten Quartal 2024 lag der Krankenstand in Berlin bei 5,4 Prozent und damit 0,4 Prozentpunkte unter dem Bundesdurchschnitt von 5,8 Prozent. Es gibt also deutliche Unterschiede, man kann längst nicht alle Arbeitnehmer über einen Kamm scheren, wie das der Versicherungschef tut.
Besonders häufige Ursachen für Arbeitsunfähigkeiten waren übrigens:
· Erkältungskrankheiten: durchschnittlich 3,16 Fehltage pro Person (2023: 3,37 Tage)
· Psychische Erkrankungen: 2,89 Fehltage (2023: 2,78 Tage)
· Muskel- und Skelettbeschwerden: 1,85 Fehltage (2023: 1,88 Tage)
Tatsache ist: Rund 77 Milliarden Euro müssen deutsche Arbeitgeber jährlich für Lohnfortzahlungen berappen. Dazu kommen weitere 19 Milliarden Euro von den Krankenkassen. In Summe: eine gigantische Belastung für das gesamte Gesundheitssystem. Im EU-Vergleich liegen die Kosten für Krankmeldungen in Deutschland bei unglaublichen sechs Prozent der Sozialausgaben – fast doppelt so viel wie im EU-Schnitt.

Doch damit nicht genug: Auch die Zahl der Arztbesuche ist hierzulande rekordverdächtig. Platz sieben weltweit. Während in anderen Ländern Arzttermine eine Ausnahme darstellen, scheint in Deutschland der Weg zur Praxis schon beim kleinsten Wehwehchen Pflicht zu sein. Glaubt zumindest die Versicherungswirtschaft, ohne Belege dafür zu liefern.
Bäte ist überzeugt: Ein Karenztag könnte dem grassierenden „Blaumachen“ einen Riegel vorschieben. Wer wirklich krank ist, soll zum Arzt gehen und ein Attest vorlegen. Ohne Attest – kein Geld. So könnten laut Bäte bis zu 40 Milliarden Euro eingespart werden. Geld, das dringend für eine bessere Versorgung im Gesundheitssystem benötigt wird.
Andere Länder haben es vorgemacht: Frankreich führte 2012 einen Karenztag im öffentlichen Dienst ein und siehe da – die Zahl der Krankmeldungen sank rapide. Doch die Politik ruderte später zurück. Ob Deutschland nun den Mut hat, durchzugreifen?
Die Forderung des Allianz-Chefs dürfte die Debatte über Krankmeldungen, angebliche Blaumacher und die Kosten des Gesundheitssystems jedenfalls weiter anheizen.
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