Gestern klingelte pausenlos mein Telefon. Zunächst meldeten sich permanent Presseagenturen bei mir und fragten, ob ich denn schon ihre Mails mit wichtigen Nachrichten oder Terminen erhalten hätte. Habe ich. Als diese Klingelinvasion vorbei war, rief die halbe Familie an, die wissen wollte, ob mein Sohn seine letzte Abi-Prüfung bestanden hatte. Hat er. Und dann bimmelte abends mein Handy sogar noch an der Supermarktkasse, weil meine Frau anrief und nachfragte, ob ich auch an die Milch gedacht habe. Ja, habe ich.
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Es war zum Verrücktwerden. Aber so ist es nun einmal mit dem mobilen Telefon, mit dem wir seit Jahrzehnten überall und zu jeder Tageszeit erreichbar sind. Der Fluch der Technik, der uns nicht in Ruhe lässt und ohne den wir offenbar nicht mehr auskommen – den Preis müssen wir nun zahlen, wir wollten es schließlich nicht anders. Man fühlt sich ja schon wie ein halber Mensch, wenn man das Handy nicht dabei hat, wenn man ins Restaurant, ins Theater oder ins Kino geht.
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Nervendes Handy-Klingeln: Da wünscht man sich in die DDR zurück, wo eigene Telefone selten waren
Es gibt Tage, da wünsche ich mir, es wäre so wie einst in der DDR. Wo es ein Luxus war, wenn ein Haushalt einen Telefonanschluss besaß. Laut alten Statistiken hatten 1970 im Arbeiter-und-Bauern-Staat nur vier Prozent aller Privathaushalte einen Festnetzanschluss. Nur sechs Prozent waren es 20 Jahre später, als es mit der DDR zu Ende ging. Die Mehrheit meiner Familie gehörte zu der Masse, die kein Telefon besaßen.
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Was haben wir damals geflucht, weil man nicht erreichbar war, bei wichtigen Angelegenheiten eine Telefonzelle aufsuchen und dort in einer Warteschlange stehen musste, bis man telefonieren konnte. Neidisch schauten wir in den Westen. Da hatten Ende der 80er-Jahre fast 90 Prozent der Menschen in der alten Bundesrepublik ein Telefon.

Und nun haben wir im Osten und im Westen alle eins. Nicht nur eins, sondern sogar noch ein zweites mobiles Gerät, vielleicht sogar ein drittes. Wir telefonieren immer und überall. Dabei ist es uns sogar egal, dass in der S-, U- oder in der Straßenbahn wildfremde Menschen unseren Privatgespräche mitbekommen.
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Mich nervt es und ich wüsche mich manchmal an Orte, wo es keinen Telefonanschluss gibt wie einst in der DDR. Offenbar muss mich eine Märchenfee erhört haben. Als meine Frau und ich an Himmelfahrt an der Kleinen Mecklenburgischen Seenplatte in Mecklenburg-Vorpommern zum Angeln waren, landeten wir in eine telefonlose Zone. Unser Quartier in einer Bungalowsiedlung mitten in der Natur lag mitten in einem sogenannten Funkloch. Und eine Telefonzelle gab es auch nicht.

Einfach wunderbar: In Mecklenburg-Vorpommern macht ein Funkloch ein Leben ohne Telefon möglich – wie einst in der DDR
Es war schon lustig, wie wir und andere Petrijünger dort um die Häuser oder am Parkplatz mit den Handys herumhüpften, um einen Stelle zu finden, wo es noch eine schwache Netzverbindung gab. Oder einige auf den Seen im Angelkahn nach Orten suchten, um nicht etwa einen Hecht aufzuspüren, sondern eine stabile Funkstelle. Anfangs machte ich mit. Aber dann fing ich an, es zu genießen, dass ich nicht telefonieren konnte. Kein Generve, kein Gebimmel – es gab nur die Natur mit ihrer endlosen Ruhe. Ich war glücklich!
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Die Mobilfunkanbieter werden nun an dieser Stelle murren und erklären, dass dies nicht sein dürfte. Schließlich seien über 90 Prozent der Fläche in Deutschland für Handys empfangsbereit. Meine Bitte an die Anbieter: Zerstört nicht mein kleines telefonloses Glück im Osten und beseitigt bitte nicht auch noch dieses Funkloch! Denn ich möchte auch künftig zu diesem Ort in Mecklenburg-Vorpommern fahren, um Ruhe vor dem Telefon zu haben – so wie früher in der DDR.
