Was war das für eine Saison! Die Mannschaft glich zum Auftakt einem Torso. Sportdirektor Benjamin Weber stand vor der Herkulesaufgabe, trotz heftiger finanzieller Altlasten eine konkurrenzfähige Mannschaft zu bauen. Zuerst mussten die einst hochbezahlten Profis um Dodi Lukebakio verkauft werden, damit neue Spieler kommen konnten. Der Start geriet zum Fiasko mit drei Niederlagen in Serie.
Später stabilisierte sich das junge Team, in das Trainer Pal Dardai vehement die klubeigenen Talente ins kalte Wasser warf. Die Zweite Liga machte plötzlich Spaß. Wie viele Beobachter sah auch ich lieber die Duelle gegen Schalke, den HSV, St. Pauli, Magdeburg oder Rostock statt Langweiler wie Augsburg, Hoffenheim, Darmstadt oder Wolfsburg eine Etage höher. Die Fans strömten in Massen zu den Heimspielen, sahen eine Mannschaft, die kämpfte und zusammenhielt. Ich habe selten eine solch tolle Atmosphäre im Olympiastadion erlebt wie häufig in dieser Saison. Team und Fans bildeten eine großartige Einheit – auch ein Verdienst des verstorbenen Präsidenten Kay Bernstein.
Hertha BSC zieht auch Zuschauer in der Zweiten Liga
Zudem machten Tausende Auswärtsfans, die den „Betriebsausflug“ nach Berlin als Höhepunkt der Saison ansahen, das Stadion immer wieder zum Hexenkessel. Am Ende konnte Hertha auf einen Zuschauerschnitt von 50.970 verweisen – mehr als viele bekannte Klubs in anderen europäischen Top-Ligen.
Auch ich gehörte zu denjenigen Beobachtern, die im Laufe der Spielzeit immer wieder mit der leisen Hoffnung lebten, die Truppe könne doch noch weiter oben angreifen und zumindest Relegationsplatz drei erreichen. Vor allem der Monat Dezember machte Hoffnung. Nach einem 5:1 gegen Elversberg folgte in der Liga ein 2:1-Sieg auf dem Betzenberg in Kaiserslautern. Dazwischen aber kam es zu dem für mich persönlich absoluten Höhepunkt der Saison – dem dramatischen Sieg im DFB-Pokal gegen den HSV.
Hertha BSC verspielt Pokal-Traum leichtfertig
Vor einigen Tagen habe ich mir die Kurzfassung des Duells noch einmal auf YouTube angeschaut. Zweimal schaffte Hertha im allerletzten Moment den Ausgleich zum 2:2 durch Fabian Reese (90.) und Jonjoe Kenny zum 3:3 (120.). Mehr Drama ging nicht. Und im Elfmeterschießen trafen alle fünf Herthaner, während Tjark Ernst den Schuss von Ransford Königsdörffer parierte. Dieser Auftritt machte Fabian Reese, der das „Spiel seines Lebens“ gezeigt hatte, endgültig zum „Mentalitäts-Monster“. Dieses mitreißende Erlebnis schaffte es in meine persönliche „Top 10 der emotionalsten Hertha-Spiele“. Und das will etwas heißen, da ich die Hertha seit nunmehr 34 Jahren intensiv beobachte. Neben Reese war es auch Haris Tabakovic, der begeisterte und als erster Herthaner Torschützenkönig der Zweiten Liga wurde – auch wenn er sich Platz eins mit zwei anderen Torjägern teilen musste. Seine Treffer rissen auch mich oft vom Sitz auf der Pressetribüne.
Leider zerplatzte der „ewige“ Traum vom Pokal-Finale schon Ende Januar nach einem müden 1:3 im Viertelfinale gegen Kaiserslautern. Typisch Hertha konnte man sagen – wenn es darauf ankommt, versagen die Nerven und die Beine werden schwer wie Blei!
Kay Bernstein Tod lähmt Hertha BSC
In der Liga ärgerten mich die oft vergebenen Matchbälle auf dem Platz, die leichtfertig verursachten Gegentore in den letzten Minuten, die unnötigen Remis. So wurde es eine durch den frühen Tod von Kay Bernstein schicksalhafte Saison, in der dennoch viel mehr möglich war als Platz neun.
Was bleibt: Man hätte die Trennung von Pal Dardai besser Händeln können – mit mehr Würde und Stil. Der Ungar hat Hertha dreimal in schweren Zeiten aus der Bredouille geholfen- so oft wie kein anderer zuvor. Spannend ist, in welcher „anderen Funktion“, so die Klubmitteilung, Dardai künftig helfen soll? Er selbst sagte im Scherz: „Wir werden ein Museum machen. Ich werde den Gästen alles zeigen. Dafür werde ich gut bezahlt!“ Nur: ein eigenes Museum, um dessen Standort der Verein seit vielen Jahren vergeblich kämpft, besitzt Hertha bislang gar nicht. ■