Hertha-Kolumne

Marcelinhos Märchen: Bei Hertha BSC steppt im Trainingslager oft der Bär

Trainer Pal Dardai legt in Spanien derzeit die Grundlagen für die Rückrunde. In den blau-weißen Camps begannen Karrieren. Manche gingen dort auch zu Ende. 

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Hertha-Trainer Pal Dardai (47) wird sich an Marcelinhos Märchen im Trainingslager gut erinnern. 2006 kam der Brasilianer neun Tage zu spät und hatte dafür kuriose Ausreden. 
Hertha-Trainer Pal Dardai (47) wird sich an Marcelinhos Märchen im Trainingslager gut erinnern. 2006 kam der Brasilianer neun Tage zu spät und hatte dafür kuriose Ausreden. City-Press (2)

Die Ansage von Pal Dardai war eindeutig: „Wir werden vor Ort voll durchziehen und intensiv trainieren!“ Die eine Woche im Trainingslager in La Manga an der Costa Calida wird für die Profis von Hertha garantiert kein Zuckerschlecken.

In solchen Trainingslagern wurden oft die Grundlagen für eine starke Saison oder eine erfolgreiche Rückrunde gelegt. Ich konnte einst stattliche 33 solcher Trainingscamps hautnah erleben, sah, wie dort Karrieren begannen und auch zu Ende gingen.

Zecke Neuendorf sehnte sich einst nach einem Hertha-Trainingslager

Fakt ist: Trainingslager sind nicht das, wonach sich Fußballprofis sehnen. Die idyllische Umgebung, wahlweise noble Küstenorte mit Sandstränden im Winter oder gewaltige Bergpanoramen im Sommer, tritt schnell in den Hintergrund, wenn man unter unerbittlichen Konditionstrainern ackern muss.

Schenken sich nichts: Die Hertha Profis Jeremy Dudziak (28) und Jonjoe Kenny (26, r.) geben im Trainingslager in Spanien Vollgas. 
Schenken sich nichts: Die Hertha Profis Jeremy Dudziak (28) und Jonjoe Kenny (26, r.) geben im Trainingslager in Spanien Vollgas. City-Press

Einmal habe ich allerdings erlebt, dass sich ein Hertha-Profi regelrecht nach einem Trainingslager gesehnt hat: Andreas „Zecke“ Neuendorf, der heutige Direktor Akademie und Lizenzspielerbereich, war 1999 als 24-Jähriger heilfroh, im österreichischen Kaprun hart trainieren zu können.

Kuriose Hertha-Verhandlungen mit Trond-Fredrik Ludvigsen

Der Grund: Zecke war damals für zehn Tage von der militärischen Grundausbildung bei der Bundeswehr freigestellt. Für den Soldaten war das Stressprogramm eine willkommene Abwechslung. Neuendorf stand mitten in der Grundausbildung, die er im 1. Jägerbataillon Kladow absolvierte. „In Österreich kann ich endlich wieder mal ausschlafen“ sagte er damals, denn in Kladow ertönte der Weckruf bereits um 4.45 Uhr, zehn Minuten später ging es raus zum Frühsport. Hacken- statt Hakenschlagen…

Marcelinho spielte ab 2001 für Hertha BSC und kam 2006 neun Tage zu spät ins Trainingslager. 
Marcelinho spielte ab 2001 für Hertha BSC und kam 2006 neun Tage zu spät ins Trainingslager. City-Press

In Trainingslagern wurden auch oft späte Transfers getätigt, was im Januar 2002 zu einer kuriosen Situation führte. Im Guadalmin-Golf-Hotel in Marbella fanden mit dem jungen Norweger Trond-Fredrik Ludvigsen zähe Verhandlungen statt – allerdings knapp zwei Stunden vor Transferschluss! Wir Reporter lauerten vor verschlossenen Türen, der Redaktionsschluss rückte unerbittlich näher. Ein Kollege stürmte schließlich mutig in den Verhandlungsraum und drängte auf ein Resultat. Mit Erfolg. Der Stürmer wurde für eine Ablöse von 1,5 Millionen Euro verpflichtet, unsere Stories rechtzeitig fertig. Doch Ludvigsen entpuppte sich als Flop, absolvierte nur zwei Bundesligaspiele für Hertha und stand dabei gerade einmal acht Minuten auf dem Rasen…

Marcelinhos Märchen führten zu Hertha-Abschied

Ein ganz anderes Kaliber war der Brasilianer Marcelinho, der Hertha sieben Millionen Euro Ablöse kostete. Im Sommer 2001 begann in Kaprun im Sommer-Lager seine große Hertha-Karriere. Seine erste Begegnung mit Trainer Röber endete beinahe mit einem Eklat. Der neue Star war direkt über Sao Paulo, Frankfurt/Main und München nach Österreich gereist und müsste danach „mausetot sein“, so vermutete Röber.

In einem internen Trainingsspiel wechselte er seinen Zugang deshalb schon nach 30 Minuten aus. Der schimpfte auf den Trainer und sagte forsch, einen Brasilianer wechselt man nicht aus! Tage später freute sich Marcelinho, als er zum ersten Mal in seinem Leben Schnee in den Händen hielt. Mit seinem Landsmann Alex Alves ging es am freien Nachmittag mit der Seilbahn auf das 3.029 Meter hohe Kitzsteinhorn. Beide Spieler bewarfen sich wie Kinder mit Schneebällen.

Hertha-Trainer Pal Dardai will „Geist von La Manga“

Aber auch das Ende der Hertha-Laufbahn von Marcelinho, der in 155 Erstligaspielen 65 Tore geschossen hatte, fand in einem Trainingslager statt. Im Sommer 2006 war er wie oft zuvor zu spät aus der Heimat angereist. Nach Bad Waltersdorf (Österreich) kam er sage und schreibe neun Tage zu spät. Seine Ausreden: Straßensperren am Flughafen Sao Paulo, Maschinen ausgebucht, Frau und Kinder krank, kein Handy-Empfang… Hertha verkaufte den besten Spieler der letzten zwanzig Jahre in die Türkei.

Ob auch der Hertha-Jahrgang 2024 im Trainingslager in Spanien Schlagzeilen produzieren wird – möglichst positive? Die sportlichen Chancen sind groß: Wenn alles nach Plan läuft, könnte das Team bis Ende Januar das Halbfinale im DFB-Pokal erreichen und den Abstand zur Ligaspitze verkürzen. Dann könnte man vom „Geist von La Manga“ sprechen.