Hertha-Kolumne

Hertha BSC und die Torwartfrage: Wie viel rotieren wird Fiel probieren?

Das Problem einer Nr.2 ist, dass sie nie weiß, wann es die nächste Chance gibt, um sich zu beweisen.

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Da ist der Frust über den Patzer verflogen: Als ihn die Fans nach dem 5:1 in Rostock besonders feiern, kann Torwart Marius Gersbeck (M.) wieder lachen.
Da ist der Frust über den Patzer verflogen: Als ihn die Fans nach dem 5:1 in Rostock besonders feiern, kann Torwart Marius Gersbeck (M.) wieder lachen.Matthias Koch/Imago

Was geht in einem Torhüter vor, der gerade gepatzt hat, dessen Teamkameraden das Missgeschick aber kollektiv ausbügeln konnten? So geschehen beim siegreichen DFB-Pokalspiel der Hertha beim FC Hansa Rostock (5:1).

Keeper Marius Gersbeck (29) wollte einen Rückpass direkt weiterleiten – doch sein Zuspiel landete beim Rostocker Albin Berisha, der sich mit einem Treffer für das Geschenk bedankte. Später feierten die Hertha-Fans die Mannschaft und ganz besonders Pechvogel Gersbeck. Dem war der Zuspruch fast peinlich, den Beifall hatte er sich aber mit seinem souveränen Auftritt nach dem Fauxpas verdient.

Gersbeck, nach Tjark Ernst (21) in der Torhüter-Hierarchie der Blau-Weißen die Nummer zwei, hatte von Cheftrainer Cristian Fiel nach guten Trainingsleistungen die Chance bekommen, sich im DFB-Pokal zu zeigen. Diese Torhüter-Rotation – meist die Nummer eins in der Meisterschaft, die Nummer zwei im Pokal – praktizieren auch andere Trainer. Nicht nur im deutschen Fußball. Nello Di Martino, Hertha-Legende und einst Jahrzehnte Torwarttrainer bei der Profis (heute bei der U23 tätig) sagt: „Diese Rotation gibt es bei sehr vielen großen Teams, auch bei Spitzenmannschaften in Italien.“

Beim Bundesliga-Debüt vor elf Jahren hielt Gersbeck in Dortmund den Hertha-Sieg fest

Den Weg von Marius Gersbeck verfolge ich derweil schon lange, weil sein Debüt in der Ersten Bundesliga einst auch für mich als Reporter ein unvergessliches Erlebnis war. Am 21. Dezember 2013 kam der damals 18-Jährige vor 80.000 Zuschauen in Dortmund zum Einsatz und hielt mit Bravour Herthas 2:1-Sieg fest. Danach kletterte Gersbeck auf den Zaun in der Dortmunder Nordkurve und feierte mit den Berliner Fans. Einst hatte er selbst in der Ostkurve im Olympiastadion gestanden und seinen Idolen zugejubelt. Jahre später gehörte er beim Karlsruher SC zu den profiliertesten Keepern der Zweiten Liga, ehe er im Sommer 2023 zu Hertha zurückkehrte. Seine anschließende Prügel-Affäre im Trainingslager in Österreich hat ihn Demut gelehrt.

Das Los der Nummer zwei ist es, stets bereit zu sein einzuspringen, aber mit sehr wenig Spielpraxis auszukommen. Ist man mental topfit, wenn man plötzlich ins Team rotiert? „Man erhofft sich die Chance. Die Vorfreude überwiegt, aber ich war auch angespannt“, sagte mir Gersbeck, „ich habe mich extrem über meinen Fehler geärgert. Es war halt ein Scheiß-Pass! In der Sportschau sehen die Leute nur meinen Patzer, aber kaum die guten Szenen danach. Aber der Rückhalt der Fans, meiner Teamkameraden und vor allem des Trainerteams nach dem Spiel – das ist, was wirklich zählt.“

Tjark Ernst ist seit vergangener Saison die Nummer eins von Hertha BSC.
Tjark Ernst ist seit vergangener Saison die Nummer eins von Hertha BSC.City-Press

Tjark Ernst ist seit vergangener Saison die Nummer eins von Hertha BSC

Die Rotation ist für die jeweilige Nummer zwei einerseits Lohn und Ansporn, bringt aber auch Druck für sie mit sich. Sie soll die Nummer eins herausfordern, sich aber loyal verhalten und natürlich nicht etwa auf Fehler des Stammkeepers warten. „Wir Torhüter bei Hertha verstehen uns alle sehr gut“, sagt Gersbeck. Wie lange er, der bereits Ende Januar 2024 beim Pokalspiel gegen den 1.FC Kaiserslautern (1:3) unter Pal Dardai ins Tor rotiert war, auf eine neue Chance warten muss, ist ungewiss. Trainer Fiel weiß, dass er sich auf Gersbeck verlassen kann. Wie auch Tjark Ernst gehört er zum neu gewählten Mannschaftsrat.

Auf der sensiblen Torhüter-Position erwies sich Hertha BSC einst als innovativer Vorreiter. 1968 zelebrierte Cheftrainer Helmut „Fiffi“ Kronsbein die erste Torhüter-Rotation in der Bundesliga auf extreme Weise. Da sich die beiden Klasse-Keeper Volkmar Groß und der österreichische Nationaltorhüter Gernot Fraydl als gleichwertig erwiesen, ließ Kronsbein alle zwei Spiele rotieren. Das ging sogar lange Zeit erstaunlich gut.

Als ich Marius Gersbeck nun diese Episode erzählte, sagte er: „Das ist schon faszinierend, aber natürlich nicht mehr möglich. Wir Torhüter sind völlig verschiedene Typen und unsere Abwehrspieler müssten ständig neu umdenken.“ Mein Fazit: Rotation ja, aber nicht zwingend. ■