Eigentlich muss man den Verantwortlichen von Hannover 96 dankbar sein, dass sie ihren Cheftrainer Stefan Leitl nach zweieinhalb Jahren Amtszeit kurz vor Silvester 2024 überraschend entließen. Und das, als die Mannschaft in der Winterpause auf Rang 7 stand und lediglich zwei Pünktchen Rückstand zum direkten Aufstiegsplatz aufwies! Man habe das Vertrauen verloren, in dieser Konstellation ernsthaft weiter um den Aufstieg spielen zu können, hieß es aus Hannover …
Nach sieben Wochen „Durchatmen“ samt Verarbeitung der Ereignisse nahm Leitl zusammen mit seinem Dauer-Co-Trainer Andre Mijatovic, der 2010/11 sogar Kapitän der Hertha war, das durchaus heikle Angebot an, Hertha BSC vor dem drohenden tiefen Fall in die 3. Liga zu bewahren. Das Ende ist bekannt: Leitl rettete die Mannschaft und den Verein vor dem Super-GAU, der existenzbedrohend gewesen wäre. Deshalb ist nicht Herthas überragender Spieler Fabian Reese, der einen Riesenanteil am Klassenerhalt besitzt, mein „Herthaner der Saison“, sondern Cheftrainer Leitl. Letzterer hatte natürlich auch das Glück, einen Reese in Top-Form einsetzen zu können. Sein Vorgänger Cristian Fiel musste fast die gesamte Hinrunde auf den verletzten Reese verzichten.
Hertha BSC und seine Retter: Hans Meyer, Pal Dardai und Felix Magath
Leitl steht nun in einer Reihe mit den „Rettern“ Hans Meyer (82), Pal Dardai (49) und Felix Magath (71), die alle einst die abstiegsbedrohte Berliner Mannschaft erst zu Beginn der Rückrunde oder noch viel später übernahmen. Meyer schaffte den Klassenerhalt am 33. Spieltag der Saison 2003/04, Dardai auch am 33. Spieltag 2020/21 und Magath erst in der Relegation gegen den Hamburger SV 2021/22 (0:1, 2:0). Unter Stefan Leitl stand der Klassenerhalt nach dem 31. Spieltag fest – allerdings eine Liga tiefer als einst Meyer & Co.
Wie tickt der gebürtige Münchner Leitl, der als Profi vor allem in der Zweiten Liga unterwegs war und später einer der erfahrensten Trainer in dieser verrückten Spielklasse wurde? Der Mann ist verheiratet, hat drei Kinder und bevorzugt als Trainer eine WG mit Andre Mijatovic. Er spricht nicht gern über sich selbst. Über seine Zeit als Spieler, die ihn bis zum FC Bayern München führte (ohne Einsatz in der Bundesliga), sagte er einmal: „Es wurde mir nachgesagt, dass ich ein mega-großes Talent war, aber nicht sorgfältig damit umgegangen bin.“ Sein ehemaliger Coach Benno Möhlmann habe ihm nahegelegt, ebenfalls Trainer zu werden.

Leitls Positionswechsel für Reese brachte Hertha BSC den Kick
In den Pressekonferenzen der Hertha ist er konzentriert, antwortet ehrlich, manchmal huscht ein Lächeln über sein Gesicht – doch überschwänglich zu sein, scheint nicht seine Sache. Er ist ein Mann der klaren Worte und macht direkte Ansagen. „Ich suche zuerst die Fehler bei mir selbst“, sagte der 47-Jährige mal. Während der Spiele hampelt er nicht aufgeregt wie ein HB-Männchen an der Seitenlinie herum, coacht aber durchaus aktiv und sagt bei Bedarf dem Referee seine Meinung.
Als Beobachter hatte ich immer den Eindruck, mit Leitl wird die Klasse gehalten. Man hatte einfach Vertrauen zu ihm und baute auf seine Erfahrung. Seine für mich wichtigsten Entscheidungen waren: ein erneuter Torwartwechsel von Marius Gersbeck zurück zu Tjark Ernst (durchaus umstritten), die Systemumstellung nach der 0:4-Pleite in Elversberg auf Dreierabwehrkette, der Positionswechsel für Fabian Reese vom Linksaußen ins Sturmzentrum. Dass Reese nun tatsächlich bei Hertha und seinem „Lieblingstrainer“ bleibt – an dieser Entscheidung hat Leitl enormen Anteil.
Als Hertha am 25. Spieltag nur noch drei Punkte vom Relegationsrang entfernt war und am Abgrund stand, behielt Leitl die Ruhe. Es folgte der Befreiungsschlag beim 5:1 in Braunschweig. Nach dem Klassenerhalt zeigte er sich als Meister darin, die Motivation hoch zu halten, möglichst keinen Schlendrian zuzulassen und formulierte neue Ziele. In der kommenden Saison kann das nur der Aufstieg sein. Den schaffte er schon einmal mit der SpVgg Greuther Fürth im Mai 2021.