Hertha-Kolumne

Hertha BSC kann nur hoffen, dass Stefan Leitl was von Hans Meyer hat

Der Altmeister übernahm 2004 als Coach in einer ähnlichen Situation wie der jetzige Trainer und verhinderte auch als großer Psychologe den Abstieg.

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Nach der geglückten Rettung wurde Trainer Hans Meyer im Olympiastadion gebührend verabschiedet.
Nach der geglückten Rettung wurde Trainer Hans Meyer im Olympiastadion gebührend verabschiedet.Conrast/imago

Immer wenn eine Mannschaft knietief in der Bredouille steckt und gar um den Klassenerhalt kämpfen muss, schlägt die Stunde der Sportpsychologen und Mentaltrainer. Sie werden gern zu Rate gezogen, wenn es darum geht, dass sich ein Team aus einer Negativspirale befreien muss.

Fakt ist aber und da bin ich bei Hertha BSC – der wichtigste Psychologe in der Krise ist der Cheftrainer. Stefan Leitl, seit vier Spielen in der Verantwortung, hat am zurückliegenden Sonntag einen Psycho-Trick äußerst erfolgreich angewandt. Vor einem der sicherlich wichtigsten Duelle in der jüngeren Vereinsgeschichte beim Tabellennachbarn Eintracht Braunschweig lud er den gesamten Erwartungsdruck auf die Gastgeber ab. Und er äußerte die gewagte These: „Wir haben nicht den Druck, das Spiel gewinnen zu müssen!“ Das war aus meiner Sicht schon eine riskante Behauptung. Doch Leitl erwies sich als geschickter Psychologe und seine Pläne gingen zu hundert Prozent auf. Die Mannschaft spielte beim 5:1-Sieg befreit auf und zeigte lange vermisste Qualitäten.

Parallelen zwischen jetzt und 2003/04

Irgendwie erinnerte mich das Verhalten des Trainers an den großen Fußballlehrer Hans Meyer, der Hertha im Januar 2004 in einer ähnlich prekären Situation übernahm wie vor Wochen Leitl. Als das Team im Sommer 2003 noch unter Chefcoach Huub Stevens ins Trainingslager nach Tschagguns (Österreich) reiste, führte Stevens eine geheime Umfrage durch. Die Profis sollten auf einem Zettel ihr persönliches Saisonziel angeben. Das Gros glaubte an das Erreichen der Champions League. Wie man sich täuschen kann. Nach dem 9. Spieltag war Hertha Tabellenletzter. Nach 14 Spielen musste Stevens gehen, Andreas Thom übernahm für drei Duelle die Verantwortung, ehe Hans Meyer im Januar 2004 als Retter geholt wurde. Hertha stand auf Platz 17 mit mageren 13 Punkten!

Hertha-Trainer Stefan Leitl muss nicht die Bälle beschwören, er muss in die Köpfe seiner Spieler kommen.
Hertha-Trainer Stefan Leitl muss nicht die Bälle beschwören, er muss in die Köpfe seiner Spieler kommen.Nordphoto/imago

An dieser Stelle ein Sprung in die Gegenwart. Auch der Hertha-Jahrgang 2024/25 sollte „oben mitspielen“ und insgeheim hofften viele auf den Aufstieg. Auch in den zurückliegenden Wochen war der Fall abgrundtief und noch immer befindet sich die Mannschaft selbst nach dem starken Befreiungsschlag in Braunschweig in einer gefährlichen Tabellensituation.

Keine Rücksicht auf große Namen

Wie hat sich die Mannschaft 2004 in der Krise verhalten? Wie ging Hans Meyer vor? Ich habe mit zwei Profis gesprochen, die damals dabei waren: Mittelfeldmann Andreas Schmidt (51, 193 Bundesligaspiele für Hertha) und Abwehr-Recke Josip Simunic (47, 222 Bundesligaspiele für Hertha).

Schmidt erinnert sich noch genau: „Nach einem 0:3 in Köln im letzten Spiel der Hinrunde tobte Manager Dieter Hoeneß und forderte Gehaltsverzicht der Spieler. Dann kam Hans Meyer und drehte psychologisch den Spieß geschickt um. In seiner ersten Ansprache sagte er: ‚Vor was habt ihr Angst? Wenn ihr absteigt, spielt ihr im nächsten Jahr in einem anderen Verein und verdient auch noch mehr Geld!‘ Meyer packte uns so bei der Ehre.“ Laut Schmidt und Simunic nahm Meyer keine Rücksicht auf große Namen.

„Er setzte auf die Arbeiter im Team. Das war gut für Pal Dardai und mich“, so Schmidt. Noch einen anderen Psycho-Trick wandte Meyer an. Er ließ jeden Profi dessen persönliche Wunschelf aufschreiben und lernte so Strömungen und auch Animositäten innerhalb des Teams schnell kennen. Schmidt: „Es war dann eine wahnsinnig intensive Zeit.“

Simunic schwärmt von Hans Meyer

Der Kroate Josip Simunic nennt Meyer sogar „den besten Trainer, den ich je hatte“. Simunic: „Einige waren damals egoistisch, schoben die Verantwortung auf den Nebenmann. Meyer hat aus uns wieder ein Team gemacht – mit Strenge und Disziplin, aber auch mit Humor.“

Hans Meyer erklärte auch Joe Simunic (l.) ganz intensiv, wo es unter ihm langgeht.
Hans Meyer erklärte auch Joe Simunic (l.) ganz intensiv, wo es unter ihm langgeht.Contrast/imago

Damals schaffte Hertha den Klassenerhalt in der Ersten Liga am vorletzten Spieltag nach einem 1:1 bei 1860 München. Bleibt zu hoffen, dass die Mannschaft von Trainer Leitl dieses Ziel in Liga Zwei viel früher erreicht. Dass er ein guter Psychologe wie einst Meyer ist, hat Leitl zuletzt angedeutet.