Geniales Zeit-Zeugnis

Erinnern Sie sich? Dieses Tagebuch zeigt, was es in der DDR nicht gab!

Im Berliner DDR Museum schlummert ein ganz besonderes Tagebuch – hier dokumentierte eine Frau, was sie zu Honeckers Zeiten nicht bekam.

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Im Mangeltagebuch von Ingeborg Lüdicke kann man noch heute nachlesen, welche Regale in den Kaufhallen der DDR leer waren.
Im Mangeltagebuch von Ingeborg Lüdicke kann man noch heute nachlesen, welche Regale in den Kaufhallen der DDR leer waren.DDR Museum Berlin, imagebroker/imago

Wer heute in den Supermarkt geht, der bekommt nahezu alles – und das jederzeit. Für verschiedene Obst- und Gemüsesorten muss man nicht warten, bis sie Saison haben, Lebensmittel wie Fleisch und Wurst gibt’s frisch in Hunderten Sorten – und der Alkohol im Wein-Regal stapelt sich bis unter die Decke. Wer zu DDR-Zeiten aufgewachsen ist, der weiß: Es war nicht immer so. Noch heute drehen sich viele Witze, die über die DDR erzählt werden, um die damalige Mangelwirtschaft. Aber: Kennen Sie schon das Mangeltagebuch? Das besondere Schriftstück schlummert im Depot des Berliner DDR Museum. Und zeigt, was es im Osten NICHT gab!

Dieses Tagebuch zeigt, was es in der DDR nicht gab – erinnern Sie sich?

Das Mangeltagebuch ist eines von mehr als 300.000 Objekten, die die Museums-Macher im Laufe der Jahre angesammelt haben – und zwar ein ganz besonderes. Denn: Auf der ganzen Welt dürfte es kein vergleichbares Schriftstück geben, das die Mangelwirtschaft in der DDR so gut abbildet wie dieses! Das Büchlein, an dem der Zahn der Zeit bereits genagt hat, stammt von einer Dame namens Ingeborg Lüdicke aus Sachsen-Anhalt. Sie schrieb vor der Wende Tag für Tag auf, was sie in der DDR alles nicht bekam, wenn sie zum Einkaufen ging. Oder: Wenn sie es zumindest versuchte.

In ihrem Büchlein hielt sie fest, wofür die Menschen in Schlangen standen, was in den Regalen der Kaufhallen in der DDR fehlte. Und nicht nur das: Festgehalten ist beispielsweise auch, wie die Zustände in manchen Arztpraxen waren. Die Dokumentation der Versorgungslage der DDR beginnt mit dem ersten Eintrag am 10. Oktober 1983, endet interessanterweise weit nach der Wende: Am 15. Dezember 2003. Einmal angefangen, konnte Ingeborg Lüdicke den Stift also scheinbar nicht aus der Hand legen.

In der DDR bildeten sich immer wieder Schlangen - auch das dokumentierte Ingeborg Lüdicke in ihrem Mangeltagebuch.
In der DDR bildeten sich immer wieder Schlangen - auch das dokumentierte Ingeborg Lüdicke in ihrem Mangeltagebuch.Frank Sorge/imago

Ihre Nachkommen erkannten dann die Bedeutung des Buches, übergaben es dem Berliner DDR Museum. „Frau Lüdicke hat die Auswirkungen der Planwirtschaft auf ihr Leben dokumentiert und dadurch ein einzigartiges Zeitdokument geschaffen“, heißt es auf der Website des DDR Museum Berlin. „Es zeigt, was es nicht gab! Sie finden das Mangeltagebuch bei uns in der Ausstellung im Bereich Planwirtschaft.“ Die Museums-Macher betreiben eine Dauerausstellung in der Karl-Liebknecht-Straße 1 – weitere Infos gibt es im Netz unter www.ddr-museum.de.

Es gab Salzheringe, eine Schlange wartete bei -10 Grad, ohne mich. Lieber essen wir keine!

Mangeltagebuch von Ingeborg Lüdicke

Zum Glück wurde das Buch erhalten, denn: Heute sind die Einträge nicht nur ein tolles Zeitzeugnis, sondern laden auch zum Schmunzeln ein. Am 5. Dezember 1983 notierte Lüdicke beispielsweise in ihrem Büchlein: „Apfelsinen und Bananen. Riesige Schlangen. Weihnachtsmarkt kannst du vergessen!“ Nur Tage später, am 12. Dezember, schrieb sie einen weiteren Eintrag wütend in ihr Buch: „Es gab Salzheringe, eine Schlange wartete bei -10 Grad, ohne mich. Lieber essen wir keine!“ Wir haben noch ein paar der Einträge für Sie herausgesucht – können Sie sich an die Mangelwirtschaft auch erinnern? Schicken Sie uns Ihre Erinnerungen und Erlebnisse per Mail an wirvonhier@berlinerverlag.com – wir freuen uns darauf!

Mangeltagebuch aus der DDR: Hier können Sie die besten Einträge lesen

10. 10. 1983. „Alter Konsum“ bis 12 Uhr geschlossen. „Johns“ ab 10 Uhr Brötchen ausverkauft, keine Kaffeesahne. Apotheke noch keine Lieferung, Augentropfen erst am Donnerstag!

01. 11. 1983. Toiletten im Konsum: 3 Türen ohne Klinken, mit Bindfaden, durch Loch gezogen, aufzumachen, 1 mit Klinke, dafür immer ohne Haken!

11. 11. 1983. Beim Zahnarzt: kein Material für Kronen, weder Gold, noch Silber, noch anderes, seit einem Jahr die gleiche Antwort. Kein Wandhaken zu bekommen, in allen Geschäften gefragt.

17. 11. 1983. Apfelgeleegläser ohne Etikett, sodaß alle Leute erstmal annahmen, Honig erwischt zu haben! Schokoladentafeln nur zwischen 6,- und 8,- M! Peter kann wegen Materialmangel keine Brücke angefertigt werden, nur Prothese möglich!

12. 01. 1984. Seit Tagen kein Kohlkopf zu kriegen. Brötchenladen Mittwoch Nachmittag geschlossen, andere Verkaufsstellen ebenfalls. Brötchen selbst gebacken.

02. 02. 1984. Zahnarzt. Tapete im Wartezimmer oben angeklebt. Zahnröntgen mit viel Umständen verbunden. Für  Brücke nach wie vor keinerlei Material.

16. 03. 1984. Uwe in Berlin: keine Gitarrensaiten, keine Nadel für Plattenspieler, kein Schnittkäse, dafür jede Menge Polizei, vor allem „Unter den Linden“.

Was gab es in der DDR - und was nicht? Dieses besondere Tagebuch aus dem Berliner DDR Museum zeigt es.
Was gab es in der DDR - und was nicht? Dieses besondere Tagebuch aus dem Berliner DDR Museum zeigt es.DDR Museum Berlin

05. 04. 1984. Kein Quark, schon seit 2.4. nicht, kein Schnittkäse, kein Benzin, weder in Oranienbaum, noch Wörlitz und Zschornewitz, noch Greifenhagen.

14. 06. 1984. Klopapier in der Herrentoilette nicht vorhanden, auch sonst total besch..., so daß Leo unverrichteter Sache umkehrte. Alles in Halle, unserer Bezirkshauptstadt, auf dem Bahnhof.

04. 09. 1984. Torf-Verkauf, Beutel 5,90. Zu Haus besehen war es kein Torf, aber Dreck mit Borke.

27. 07. 1984. Leo hat endlich die Krone bekommen! Unternehmen seit Anfang des Jahres!

08. 08. 1984. Krone herausgefallen! So etwas war noch nicht da! Was nun? Zahnarzt im Urlaub! ■