Mal stand er vor der Hellerau-Schrankwand und erklärte beliebte Brettspiele in der DDR, mal sah man ihn in den unterhaltsamen Videoclips des Formats „Frag Dr. Wolle“ vor dem Kleiderschrank über Jeans referieren. Mal eröffnete er eine Podiumsdiskussion im DDR Museum und ordnete kenntnisreich ein. Dr. Stefan Wolle ist so etwas wie das wandelnde Lexikon im DDR Museum, seine offizielle Stelle: wissenschaftlicher Leiter. Diese Stelle verlässt Wolle nun mit 74 Jahren. Dr. DDR geht in Rente.
Experte für den DDR-Alltag
Mit einer gehörigen Portion Wehmut, die man zwischen den Zeilen liest, verabschiedet sich das DDR Museum nach 18 Jahren Zusammenarbeit. Seit Anbeginn und Gründung des Museums habe Stefan Wolle durch seinen Einsatz und seine Expertise wesentlich zum Erfolg des Museums beigetragen.
Wolle wusste Bescheid, wenn man bei der Eröffnung einer neuen Sonderausstellung im DDR Museum etwas über den Palast der Republik nachfragte, keiner kannte sich, wie er, mit dem Alltag in der DDR aus. Ob Staatssicherheit, DDR-Literatur, NVA oder Ferienlager, keine Frage von Schülern, die gar nichts von der DDR wussten, war ihm unwichtig.

Das DDR-Museum in Mitte trägt in vielen Zügen Wolles Handschrift. Es zeigt als einziges in der Hauptstadt das Leben und Aufwachsen in der DDR mit all seinen Facetten. Besucher können in ein lebendiges Stück DDR-Alltagskultur eintauchen und werden dort abgeholt: Wie ist das Gefühl, abgehört zu werden? Ist ein Plattenbau-Wohnzimmer gemütlich und wie sitzt es sich hinter dem Steuer eines Trabis? Das DDR-Museum bietet außerdem thematische Führungen, Workshops, Veranstaltungen und weitere Angebote, an deren Konzeption Stefan Wolle einen erheblichen inhaltlichen Beitrag hatte.
Mehr als 10 Millionen Besucher haben Stefan Wolles Erklärfilme zu DDR-Themen angesehen. Außerdem war der Historiker Autor zahlreicher Publikationen mit DDR-Bezug.
Von der Universität geflogen
1950 in Halle (Saale) geboren, studierte Stefan Wolle an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin Geschichte. 1971 wurde er aus politischen Gründen von der Universität relegiert und musste sich „in der Produktion bewähren“.
Danach konnte er sein Studium fortsetzen. Von 1976 bis 1989 arbeitete er an der Akademie der Wissenschaften der DDR und promovierte 1984. Ab Anfang 1990 war Stefan Wolle Mitarbeiter des Komitees für die Auflösung der Staatssicherheit und von 1991 bis 1996 Assistent an der Humboldt-Universität.
Danach war er an der Freien Universität Berlin und bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur tätig. Seit 2005 war er wissenschaftlicher Leiter des DDR Museums in Berlin. Zu seinen wichtigsten Publikationen zählt die Trilogie „Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR“, deren Bände 1998, 2011 und 2013 im Ch. Links Verlag Berlin erschienen sind.
Ganz verlässt Wolles „sein“ Museum nicht, er wird auch weiter beratend für das Museum tätig sein. Ab Januar 2025 wird aber auch Historiker und Publizist, Dr. Ilko Sascha Kowalczuk in wissenschaftlichen Belangen für Expertise im DDR-Museum sorgen. ■