Adventskalender

DDR-Mythos „Jahresendflügelfigur“ – hat ein Wessi diesen Begriff erfunden?

War die Jahresendflügelfigur echt oder nur ein Wessi-Scherz? Wir klären den DDR-Mythos und zeigen, was dahintersteckt.

Author - Florian Thalmann
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Spielzeugmacherin Romy Koehler bemalt einen Lichterengel in einer Werkstatt in Seiffen – Jahresendflügelfiguren werden hier noch heute hergestellt. Aber: Nannte man sie in der DDR wirklich so?
Spielzeugmacherin Romy Koehler bemalt einen Lichterengel in einer Werkstatt in Seiffen – Jahresendflügelfiguren werden hier noch heute hergestellt. Aber: Nannte man sie in der DDR wirklich so?epd/imago

Welche Begriffe kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Weihnachten in der DDR denken? Wird heute über das Fest gesprochen, wird über ein Wort aus der damaligen Zeit besonders gern geredet, gelacht, gespottet: Jahresendflügelfigur. Der Begriff bezeichnet angeblich einen Weihnachtsengel – und war ein Bürokratie-Begriff aus der DDR. Aber: Gab es das Wort wirklich? Immer wieder keimte der Verdacht auf, dass die Jahresendflügelfigur in Wirklichkeit von einem Wessi erfunden wurde, um den Osten zu veräppeln. Was steckt dahinter?

Jahresendflügelfigur in der DDR: Hat es ein Wessi erfunden?

Wissen Sie noch, was eine Jahresendflügelfigur ist? Diesen Begriff hat wohl jeder in Bezug auf das Weihnachtsfest in der DDR schon einmal gehört – meist dann, wenn in Gesprächen über die DDR gespottet wird. Es klingt auch einfach zu absurd: Wurden zu DDR-Zeiten wirklich die Weihnachtsengel so bezeichnet? Glaubt man dem Mythos, dann nicht nur so: Es soll auch die Bezeichnungen „Jahresendflügelpuppe“, „geflügelte Jahresendfigur“ und „Jahresendflügelwesen“ gegeben haben, genau wie die noch bürokratischer klingende „Jahresendfigur m. F.“ und die „Jahresendfigur o. F.“ – mit Flügeln und ohne Flügel, Weihnachtsengel und Weihnachtsmann.

Kann das alles wirklich wahr sein – oder ist der Mythos am Ende doch nur ein Mythos? Dazu gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. In einer Analyse für den Spiegel nahm sich der Historiker Bodo Morzek schon vor Jahren die Jahresendflügelfigur vor. Und tatsächlich fand er Zeitzeugen, die angaben, die Begriffe zu DDR-Zeiten genutzt zu haben. „Diesen Begriff gab es in der DDR, der kam von oben“, sagte etwa Rolf Steinert vom Drechselzentrum Olbernhau, der früher als Geschäftsführer des Warenzeichenverbandes der Kunsthandwerker und Kunstgewerbetreibenden der DDR tätig war. Die Bevölkerung habe sich aber gegen solche Schöpfungen gewehrt.

Typische Jahresendflügelfiguren: Die berühmten Engel von Wendt und Kühn werden in Grünhainichen im Erzgebirge hergestellt.
Typische Jahresendflügelfiguren: Die berühmten Engel von Wendt und Kühn werden in Grünhainichen im Erzgebirge hergestellt.Martin Bäuml Fotodesign/imago

Hat eine Zeitschrift etwas mit der Jahresendflügelfigur zu tun?

In anderen Versionen der Geschichte wird die Jahresendflügelfigur dem Satiremagazin Eulenspiegel zugeschrieben. „Das Wort ist keine Erfindung, ich habe es vorgefunden und mich erst hinterher in meinem Buch darüber lustig gemacht“, sagte Humorist Ernst Röhl, der den Begriff in seinem Werk „Wörtliche Betäubung“ aufgriff. Anfang der 80er-Jahre habe er das Wort auf einem Schild an einem Kunstgewerbegeschäft in Berlin gesehen. Die Beweisführung ist aber bis heute nicht abgeschlossen: Einen genauen Beleg für die Jahresendflügelfigur gibt es bis heute nicht.

Ob Ost oder West: Engel sind schon lange Figuren, die zum Weihnachtsfest besonders gern für die Dekoration herhalten müssen. Ob der Begriff Jahresendflügelfigur in der DDR offiziell existierte, wird wohl auf ewig ein Geheimnis bleiben.
Ob Ost oder West: Engel sind schon lange Figuren, die zum Weihnachtsfest besonders gern für die Dekoration herhalten müssen. Ob der Begriff Jahresendflügelfigur in der DDR offiziell existierte, wird wohl auf ewig ein Geheimnis bleiben.Eibner/imago

Etwas Wahrheit steckt in der Jahresendflügelfigur aus der DDR

Ob der Begriff wirklich verwendet wurde oder nicht: Ein Körnchen Wahrheit steckt hinter dem kuriosen Begriff allemal. Denn heute ist bekannt, dass die DDR Weihnachten umbenennen wollte – nichts sollte im atheistischen Land an das christliche Fest erinnern. Aus dem Fest sollte deshalb ein Fest des Friedens werden. Adventskalender hießen deshalb lange „vorweihnachtliche Kalender“ – und es durften darauf keine christlichen Motive abgedruckt werden. Erstmals durfte ein kleiner Verlag in der Lausitz 1973 das Christkind und die Heiligen Drei Könige abbilden.

Auch Begriffe wie „Jahresendfeier“ für die Weihnachtsfeier und die „Jahresendprämie“ für das Weihnachtsgeld kamen im Sprachgebrauch vor. Ein Bericht des MDR enthüllte Jahre nach der Wende, dass das Weihnachtsfest sogar zum „Jahresendfest“ werden sollte – in den 70er-Jahren wurden die Pläne aber verworfen. Das ging aus Akten des Bundesnachrichtendienstes hervor. Ein Überläufer der Stasi berichtete dem Geheimdienst, dass die Stasi selbst „mäßigen Einfluss“ auf die DDR-Regierung genommen habe, um die Umbenennung zu verhindern.

Haben Sie schon einmal von der Jahresendflügelfigur gehört?

Gab es sie nun, die Jahresendflügelfigur? Ob sich dieses Geheimnis jemals lüften lässt, wird sich zeigen. Kennen Sie den Begriff denn – und haben Sie ihn benutzt? Schicken Sie uns Ihre Erinnerungen und Ihre Meinung per Mail an wirvonhier@berlinerverlag.com. Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften!