Der große DDR-Schriftsteller

Christoph Hein (80): Die DDR wird vergessen werden, nichts wird bleiben ...

Eine Abrechnung mit den Fehlern: In seinem neuen Gesellschaftsroman erzählt der 80-Jährige, warum die DDR von vornherein zum Scheitern verurteilt war.

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Christoph Hein in seinem Garten in Havelberg:  Hier ist er vor zwölf Jahren hingezogen, nachdem er den größten Teil seines Lebens in Berlin wohnte.
Christoph Hein in seinem Garten in Havelberg: Hier ist er vor zwölf Jahren hingezogen, nachdem er den größten Teil seines Lebens in Berlin wohnte.Markus Wächter

„Von der DDR wird nichts bleiben. Sie wird vergessen werden wie die Bauernkriege.“ Harte Worte einer wichtigen Stimme des Ostens. Des Schriftstellers Christoph Hein (80), dessen neues Buch „Das Narrenschiff“ vor wenigen Tagen erschienen ist. Ein Roman über das Leben der Angepassten und der Funktionäre in der DDR. „Noch ein paar Jahre, dann ist die DDR ein völlig abgeschlossenes Kapitel, an das sich kaum noch jemand erinnern wird“, sagt Hein in einem Interview mit dem Magazin Spiegel. „Von der DDR sind zuallererst die Leute geblieben, aber die sterben gerade aus.“

Christoph Hein blickt ein geteiltes Leben zurück. Geboren 1944 in Oberschlesien addieren sich bei dem heute 80-Jährigen 40 Jahre DDR und 35 Jahre BRD. Zu DDR-Zeiten war er Montagearbeiter, Buchhändler, Kellner, Journalist, Schauspieler und Regieassistent. Er war Dramaturg und Autor an der Berliner Volksbühne, ehe er 1982 mit der Novelle „Der fremde Freund“ als Schriftsteller erfolgreich durchstartete. Er schrieb „Horns Ende“ (1985), „Der Tangospieler“ (1989) oder „Glückskind mit Vater“ (2016).

Die DDR war Narretei, reine Dummheit

Deutschland, Osten und Westen, Teilung und Wiedervereinigung. Die Brüche, die das im Leben vieler verursachte, waren immer die Themen des Schriftstellers. Das ist auch bei „Das Narrenschiff“, seinem neuesten Werk, nicht anders.  In dem Gesellschaftsroman dreht sich alles um die Angepassten und Funktionäre im Land DDR. Für Hein ist die DDR „Das Narrenschiff“. „Was sollte sie sonst gewesen sein?“, sagt Christoph Hein im Spiegel-Interview. „Die Wirtschaftspolitik der DDR basierte auf der Grundannahme, dass man die Inflation per Befehl abschaffen könnte. Die Preise in der DDR wurden künstlich auf dem Niveau von 1944 konserviert, ob für ein Brötchen oder für die Miete einer Wohnung. Das konnte nicht gut gehen. Das war Narretei, die reine Dummheit.“

Für Christoph Hein ist die DDR eine der „missglückten Träumereien in der Menschheitsgeschichte“. „Ja, es war der Wunsch, ein nichtkapitalistisches, antifaschistisches Land aufzubauen, in dem bestimmte Abhängigkeiten und Unterdrückungen nicht mehr stattfinden sollen“, sagt Hein. „Der Wunsch nach dieser freien Gesellschaft, mit dem Fernziel des Kommunismus. Es hat nicht funktioniert.“

Und das war dem Schriftsteller anscheinend schon im November 1989 klar. Christoph Hein war einer der Redner auf der großen Alexanderplatz-Demonstration vom 4. November. Schon damals hatte er keine Hoffnung mehr auf eine Reform der DDR, sagt er heute. „Die Illusionen, die viele aus der Bürgerrechtsbewegung hatten, konnte ich nicht teilen“, erinnert er sich. „Der Glaube, dass die DDR zu retten gewesen wäre, indem man das Beste von allen Seiten zusammenfügte. Die soziale Sicherheit der DDR und die Freiheit aus dem Westen – mir war damals schon klar, dass das Unsinn ist. Die DDR war nicht zu halten, und die Währungsunion musste schnell kommen.“

Das Narrenschiff heißt der neue Roman von Christoph Hein.
Das Narrenschiff heißt der neue Roman von Christoph Hein.Paulus Ponizak

Die Wiedervereinigung, auch so wie sie dann ablief, war für Christoph Hein zwangsläufig. „Ich sehe im Nachhinein nicht viel, was man hätte anders machen können“, sagt er im Spiegel-Interview. „Die Menschen wollten nicht warten. Insofern konnte die Einheit nur über Nacht kommen, mit all ihren Fehlern und falschen Entscheidungen.“

Trotzgeschichte gegen die Bundesrepublik

Fehler und falsche Entscheidungen, die auch dazu führ(t)en, dass die AfD immer stärker wird, die Demokratie schwächelt. „Es ist eine Trotzreaktion von Leuten, die aus vielfältigen Gründen enttäuscht sind, im vereinten Deutschland nicht die Rolle zu spielen, die sie sich wünschen“, sagt Christoph Hein. Er kränke viele Menschen, dass die Westdeutschen auch 35 Jahre nach der Einheit immer noch in der Wirtschaft, in der Justiz und an den Universitäten dominieren. „Viele Ostdeutsche wählen die AfD als buchstäbliche Alternative, als Trotzgeschichte gegen die Bundesrepublik.“

Die Trotzreaktion ist für Christoph Hein der entscheidende Grund für das Erstarken der AfD. Er meint aber, dass sich natürlich auch die Vergangenheit zu Wort melde. „Die Faschisten und ihre Wehrmacht wurden 1945 besiegt, aber der Schoß ist noch fruchtbar“, sagt er im Spiegel-Interview. „Der jahrhundertealte Antisemitismus wurde nicht besiegt, wurde nicht ausgerottet. Er blieb, hielt sich nur vorübergehend verborgen. Das ist alles sehr gefährlich: Es kann auf ganz demokratischen Wegen wieder eine faschistische Regierung an die Macht kommen.“ ■