Wo einst Shopping-Fans Sonderangeboten nachjagten, sollen sich bald Leserratten wohlfühlen! Wo einst Kleidung, Spielzeug oder Bettwäsche verkauft wurde, stehen riesige Bücherregale und gemütliche Leseecken mit Zimmerpalmen zwischen Rolltreppen in dem Galeria-Warenhaus, dem letzten seiner Art im Berliner Osten. Willkommen in der Zukunft! Willkommen in Berlins erster Kaufhaus-Bibliothek! Zu sehen ist diese neue Welt auf Architekten-Entwürfe, die zeigen, was passiert, wenn die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) in das Kaufhaus am Alex zieht.
Die Visionen dieser Shopping-Lese-Welt werden derzeit während des „Festival of Light“ sogar abends auf die Fassade des Kaufhauses projiziert. Da sind Bilder zu sehen, die Menschen zeigen, die im Innern des Warenhauses lässig mit ihren Büchern auf Plüschteppichen liegen. Entwürfe zeigen eine Freitreppe wie aus einer Friedrichstadt-Palast-Show, die in die nächste Bücherabteilung führt.
Ein Grund, warum man nun gerade jetzt diese Bilder zeigt: Hier will man kräftig Druck machen, dass die ZLB tatsächlich in das Kaufhaus am Alex zieht. Seit der Mietvertrag für das Galeria-Unternehmen bis August 2026 verlängert wurde, ist der Umzug mehr als nur Spekulation. Ab September 2026 könnte das Kaufhaus am Alexanderplatz für die geplante und spektakuläre Mischnutzung umgebaut werden – unten Shoppen, oben Schmökern! Mit dem Erdgeschoss und der ersten Etage bleibt ein Drittel der Fläche Galeria treu, der Rest wird zur Bücheroase. Seit Monaten laufen dazu Gespräche zwischen Gebäude-Eigentümer Commerz Real, dem Land Berlin, dem Bezirk Mitte, Galeria und der ZLB.

Für die ZLB, die derzeit in maroden Gebäuden in Kreuzberg und Mitte residiert, wäre der Umzug in das Kaufhaus am Alex ein Neuanfang de luxe. Daher macht der Landesbibliotheksverband auch ordentlich Druck. Bei einer Veranstaltung im Galeria-Warenhaus machte Verbandschefin Regina Kittler klar: „Der Alex bietet die beste Kulisse für die neue ZLB.“
Bibliotheksverband: „Der Alex bietet die beste Kulisse für die neue ZLB“
Das Kaufhaus wäre mit seiner Weite, dem Licht und Glanz ein genialer Standort für eine große Bibliothek. Die Entwürfe und Darstellungen, die die Commerz Real bereits von Architekten anfertigen ließ, beweisen es. Nils Ole Brandtzaeg aus Oslo, der an der neuen Zentralen Landesbibliothek der norwegischen Hauptstadt mitgearbeitet hat, stellt sie bei der Veranstaltung vor. Fünf Etagen voller Lesewelten, offene Räume, Übergänge ins Warenhaus, dazu eine Dachterrasse mit Café und Traumblick über den Platz.

Den hat man allerdings erst, wenn der Alex schöner, und vor allem lebendiger wird, sagt Rasmus Duong-Grunnet, ein weiterer Architekt auf dieser Veranstaltung. „Auf dem Alex ist viel los, aber auch viel Dreck“, sagt er. Und auch die Bretterbuden, die den Platz etwa zur Weihnachtszeit zieren, seien kein Aushängeschild für einen modernen Alex.
„Der Alex ist das Herz von Berlin. Der historische Platz, der die 20er-Jahre mit der DDR-Architektur verbindet, muss vor allem wieder von den Berlinern erobert werden“, sagt Duong-Grunnet. „Hier gibt es viel Einzelhandel und Gastronomie – aber es fehlt die Kultur. Und dafür könnte die Bibliothek sorgen, die mit Veranstaltungen wieder die Bewohner der Stadt und Touristen anlocken.“

Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) ist begeistert: „Der Platz braucht neben Kommerz auch Kultur.“ Der Bezirk sei für den ZLB-Umzug zum Alex. Das Votum fiele leicht. Schließlich muss der Bezirk auch die Zeche nicht zahlen, so Gothe.
Wer zahlt? 600 Millionen Euro kostet ZLB-Umzug zum Alex
Die Kosten sind der Grund, warum der Senat bisher kein öffentliches Bekenntnis zum ZLB-Umzug abgab. Rund 600 Millionen Euro stehen im Raum, die in Form eines Finanzkonstrukts aus Miete, Kauf und Erbpachtrecht für die Warenhaus-Immobilie als Angebot stehen – bezahlt aus Steuergeldern. Der Senat prüft, ob sich Berlin dieses Luxusprojekt leisten kann. Immerhin: In 40 bis 50 Jahren wäre durch diese Finanzierung das Land dann Eigentümer der Kaufhaus-Immobile.
Auch der Handel möchte in der Sache noch ein Wörtchen mitreden. Nils Busch-Petersen, Chef des Berliner Einzelhandelsverbands, befürwortet und fördert die Kombination zwischen ZLB und Kaufhaus, sagt aber auch: „Das Warenhaus muss trotz allem als solches erkennbar bleiben!“ Sein Appell klingt wie eine Warnung: Zu viel Bibliothek, und das Herz des Alex – der Handel – könnte aus dem Takt geraten.

Noch deutlicher wird Galeria-Vertriebsdirektor Julian Hofer. Ihn ärgert, dass plötzlich alle nur noch von Büchern reden und nicht mehr von Blusen, Bettwäsche und Bestseller-Angeboten. „Das Kaufhaus am Alex hat jährlich sieben Millionen Besucher, wir kämpfen um den Standort“, sagt er. „Unser Appell: Lasst das Warenhaus am Alex weiterleben.“
Warenhaus am Alex gehört 20.000 Anlegern aus Berlin
Auch die Commerz Real hat große Interessen, dass es mit dem Kaufhaus am Alex erfolgreich weitergeht. Für das Unternehmen wäre die ZLB ein Glücksgriff: ein verlässlicher Mieter, eine sichere Rendite. Mit letzterer erfreut man Kleinanleger. Denn diese sind in Wahrheit die Eigentümer des Kaufhauses, haben über den Immobilienfonds Hausinvest (ein Commerz-Produkt) in das Gebäude investiert. „Über 100.000 Anleger sind darin, über 20.000 kommen aus Berlin“, sagt Ursula Visnyei von der Commerz Real.