Müll auf der Straße: ein Dauerthema in Berlin. Doch wann fing das eigentlich an? Die „zu verschenken“-Kartons, die Matratzen auf dem Gehweg? Dieser allgegenwärtige Müll in den Ecken der Stadt. Seit wann haben die Bürger Berlins es einerseits nicht mehr nötig, ihren Müll korrekt zu entsorgen, und anderseits die Energie dafür verloren, in all dem Stress auch noch zur BSR zu fahren? Das Müll-Problem verstärkt sich mit jeder Bierflasche, jedem Taschentuch, das achtlos weggeworfen wird. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse macht mangelndes Verantwortungsgefühl für die Stadt für deren Verwahrlosung verantwortlich.
Der Müll auf den Straßen mancher Berliner Stadtteile hat nach Einschätzung der Stadtreinigung BSR viel mit einem zum Teil ausufernden Freiheitsgefühl der Bewohner und Besucher zu tun. Berlin sei nicht überall gleich sauber oder gleich dreckig, sagt die Chefin der Stadtreinigung, Stephanie Otto. „Vieles hängt mit der Einstellung der Menschen zusammen. Aber das positive Freiheitsgefühl, was unsere Stadt ausmacht, führt schon manchmal dazu, dass einige sich leider besonders frei fühlen, auch beim Müllwegschmeißen.“
Wo sind die Berliner Bürger mit Verantwortungsgefühl?
Fakt ist: „Nicht der Senat vermüllt die Stadt, sondern die Bürger“, so Wolfgang Thierse im Interview des „Tagesspiegels“. Es habe in Berlin mal ein historisch bewusstes Bürgertum gegeben, dieses sei zu einem großen Teil jüdisch gewesen und durch die Nationalsozialisten ausgerottet worden. „Wer heute zuzieht, entwickelt zu selten ein Verantwortungsgefühl für die Stadt.“

Er selbst wohne in „einer halbwegs normalen Gegend“, in Prenzlauer Berg, und beobachte dort immer mehr Müll. „Die Leute geben sich nicht mal mehr Mühe, ihn in die Eimer zu stecken.“
Auf 140 Berliner kommt ein Mülleimer
Dabei hat die Berliner Stadtreinigung in den vergangenen Jahren immer mehr Mülleimer aufgestellt, um dem vielen Dreck in den Innenstadtbezirken zu begegnen. Im Vergleich zu Wien, das als sehr sauber gilt, sind es aber immer noch deutlich weniger Abfallbehälter an den öffentlichen Straßen.
2019 gab es an den Berliner Straßen und in den Parks 24.851 Müllbehälter, inzwischen sind es 26.927, also mehr als 2000 zusätzlich. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linken hervor. Rund 90 Prozent der Müllbehälter sind an den Straßen und Plätzen aufgehängt oder aufgestellt.
Zum Vergleich: Die österreichische Hauptstadt Wien hat fast genau so viel Papierkörbe aufgehängt und bereitgestellt: rund 21.000 Stück mit bis zu sechsmaliger Entleerung pro Tag. Wien hat aber nur halb so viel Einwohner wie Berlin. Die Mülleimerdichte ist also fast doppelt so hoch.
In Berlin kommt auf 140 Einwohner etwa ein Müllbehälter, in Wien auf nur 85 Bewohner der Stadt. Entsprechend gilt Wien als eine der saubersten Großstädte Europas, was von Berlin schwerlich zu behaupten ist.

Er wünsche sich zwei Dinge für die Menschen, die nach Berlin kommen, sagt Wolfgang Thierse: Herkunftsneugier und Beheimatungsbedürfnis. „Nicht nur auf der Durchreise sein, sondern hier ankommen wollen, ein wenig sesshaft werden. Natürlich muss niemand hier für immer bleiben. Berlin ist kein lebenslängliches Urteil.“
Und wenn man dann entschieden hat, zu bleiben, darf man gern auch Verantwortung für sein eigenes Umfeld übernehmen. Wie gut dies gelingen kann, mit Verantwortung für den eigenen Kiez die Müllproblematik ins Positive zu wenden, zeigen längst Initiativen überall in der Stadt. Wo sich Menschen zum Aufräumen, Verschönern, Bepflanzen und Pflegen zusammentun, sieht man das sofort. Der Pankower Bürgerpark ist ein gutes Beispiel. Wo es sichtbar sauber ist, Beete gepflegt und Mülleimer geleert werden, schmeißen andere weniger oft ihren Müll weg. Und wenn doch, bricht sich keiner einen Zacken aus der Krone, den Müll in die Tonne zu befördern, denn nur dort gehört er hin! ■