Kurier im Kiez
Berlin, was deine Dreckecken über uns Berliner erzählen
Aus gut gemeint wird auf den Bürgersteigen der Stadt viel zu oft schmuddelig. Ein Psychogramm der „Zu verschenken“-Kisten.

Ich weiß nicht, wie oft die Mitarbeiter der Wohnungsbaugesellschaft die gelben Wände im Durchgang streichen. Sie müssen den Farbton auf Vorrat haben, so oft wie er gebraucht wird, um Graffitis und andere Schmierereien zu übertünchen. An dieser Stelle ein großes Dankeschön für die Unermüdlichkeit, mit der die Mitarbeiter gegen die Vermüllung und Verwahrlosung eines Sperrmüll-Hotspots in Downtown Pankow angehen. Regelmäßig werden hier Matratzen, Bücher und Kram entsorgt.
Signale im Sperrmüll
Hotspots wie diesen gibt es zu Hauf in Berlin. Neben Faulheit, Gedankenlosigkeit und fehlender sozialer Kontrolle in der Anonymität der Großstadt beobachte ich immer wieder auch einen dritten Grund dafür, dass Menschen Dinge, von denen sie glauben, dass andere noch etwas damit anfangen können, in Ecken und auf Bürgersteige stellen. Sie wollen Gutes tun und Signale senden.
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Besonders gut zu sehen ist das Phänomen im schon erwähnten Durchgang an der Breiten Straße in Pankow. An diesem Morgen liegen hier ausrangiertes Spielzeug, Zubehör für einen Bauernhof, ein Schaukelstuhl, Bücher und wie immer Kleidung. Kinderschuhe, Küchengeräte, Kokolores. Erst liegt noch alles ordentlich. Erst wenn die guten Teile mitgenommen sind, beginnt das Müll-Fleddern.

Diese Müllecke hier ist ein Spiegel. Was er uns zeigt, ist unsere alltägliche Überforderung. Konsum überfordert uns. Wir sollen kaufen. Das tun wir. Wenn dann die Bude überquillt, oder die Kinder wieder schneller gewachsen sind, als man Kindergarten sagen kann, muss Platz geschaffen werden. Dann greift der zweite Mechanismus: „Das ist doch noch gut!“ Wegwerfen fällt aus. Wir sollen nachhaltig denken. Das tun wir. Doch der Weiterverkauf auf Kleinanzeigenportalen erfordert Einsatz, der nicht immer belohnt wird.
Das Überfluss-Gewissen beruhigen
Glücklich ist, wer seinen Kram an wirklich Bedürftige verschenken kann. Alle anderen hoffen, dass in der verschämt rausgestellten „Zu verschenken“-Kiste noch jemand einen Schatz hebt und so das eigene Überfluss-Gewissen beruhigt.
Die Müllecken zeigen gleich mehrere Widersprüche der modernen Welt auf. Sie sind verzweifelte Versuche, Kreisläufe in Gang zu bringen, wo Überfluss auf der einen Seite und Mangel auf der anderen herrscht. Wir wissen, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Wir wissen, dass es unerträgliche Armut und Ungerechtigkeit auf der Welt gibt. Die Häufchen sind der Versuch unseres Gewissens, Ausgleich zu schaffen, wo Scheren immer weiter auseinander ragen.

All die hingelegten Kinderfahrradhelme und Enzyklopädien sind darüber hinaus Versuche, Kontakt aufzunehmen. Man schaut im Vorbeigehen, ist es noch da das Buch, der Mixer? Wenn sich jemand erbarmt hat, und dem Findling ein neues Heim gab, freuen wir uns. Da tickt jemand wie ich. Was mir einst lieb und teuer war, das begehrt auch ein anderer. Wenn es keiner begehrt, fühlen wir uns nicht mehr zuständig.
BSR-Kieztage in Pankow
Die erbärmlichen Häufchen aus Dingen, die überflüssig geworden sind, treffen dann auf die Zerstörungswut derer, die sich zu Recht nicht mit Ausrangiertem abspeisen lassen wollen. Den Rest erledigen die Krähen.
Die Bewohner des Hauses mit der Müllecke in Pankow müssen mit jeder Betriebskostenabrechnung für die Entsorgung und Malerleistungen bezahlen. Fair finden sie das nicht. Die BSR bietet Kieztage an, an denen kostenlos Hausrat entsorgt werden kann. In Pankow findet der nächste am 12.9. statt. In der Winsstraße. Das ist weit weg von der Dreck-Ecke im gelben Durchgang. Ich habe in dem Portal den Vorschlag gemacht, auch einmal beim Durchgang eine Sammlung zu starten. Ein Glück: Der Kinderhelm, den ich neulich hingelegt habe, hat einen Abnehmer gefunden.