Eintopf mit dem Bürgermeister

Wie Hardy aus der Wärmestube bei Kai Wegner den Finger in die Wunde legt

Bei einem regelmäßig stattfindenden Kochtreff in der Tee- und Wärmestube Neukölln treffen Obdachlose und Arme diesmal auf den Regierenden Bürgermeister.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner im Gespräch mit den Gästen der Tee- und Wärmestube Neukölln.
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner im Gespräch mit den Gästen der Tee- und Wärmestube Neukölln.Jordis Antonia Schlösser/Ostkreuz

Am Ende weiß man gar nicht so genau, wer jetzt mehr von der ungewöhnlichen Begegnung mitgenommen hat. Kai Wegner, Berlins Regierender Bürgermeister, oder Hardy, der seit drei Monaten aus der Wohnung raus ist und die verflixte Lunge macht auch Probleme.

„Wie cool ist das, das glaubt mir ja kein Mensch“, sagt Hardy, als er ein Selfie mit Berlins Regierendem Bürgermeister schießt. Wegner hat ihm gerade Käsekuchen serviert und setzt sich, noch in Schürze, zu den Männern an den Tisch.

Seit 35 Jahren ist die Tee- und Wärmestube in Neukölln eine bekannte Anlaufstelle für Obdachlose. 60 bis 80 Menschen kommen jeweils an den fünf Öffnungstagen in die Neuköllner Weisestraße. Sie sind arm, obdachlos, wohnungslos, alt, jung, meist mehr Männer als Frauen.

Und wie so viele hier hatte auch Hardy ein Leben vor der Straße. Schlosser war er, habe gut verdient, erzählt er. Doch irgendwann ist er aus dem Tritt gekommen. Aus gesundheitlichen Gründen hat er sein Leben nicht mehr in geordnete Bahnen gekriegt. Vor drei Monaten dann der Tiefpunkt, als ihm der Gerichtsvollzieher die Wohnungsschlüssel abnimmt. Hardy und sein Kumpel sind regelmäßig Gäste in der Wärmestube.

Ebenso regelmäßig veranstaltet Thomas de Vachroi hier Kochrunden, zu denen er immer wieder auch Politiker einlädt. Die Sparkasse war schon da, Verantwortliche im Kirchenkreis, Firmen und Privatleute. Heute hat sich neben Kai Wegner auch Berlins Evangelischer Bischof Christian Stäblein angesagt.

Bei den Kochrunden, die der Armutsbeauftragte der Evangelischen Kirche, Thomas de Vachroi veranstaltet, kochen Politiker für Arme.
Bei den Kochrunden, die der Armutsbeauftragte der Evangelischen Kirche, Thomas de Vachroi veranstaltet, kochen Politiker für Arme.Jordis Antonia Schlösser/Ostkreuz

Es geht darum, ins Gespräch zu kommen, Berührungspunkte zu schaffen, der Armut immer wieder eine Stimme und ein Gesicht zu geben. Das ist der Grundsatz, nach dem Thomas de Vachroi seit 2021 seine Arbeit als Armutsbeauftragter erst des Diakoniewerkes Simeon und des Kirchenkreises Neukölln und seit 2024 auch der Landeskirche tut.

Kai Wegner war schon öfter hier, er kennt also die beengte Küche und die Räume in dem ehemaligen Laden und schwärmt von der kirchlichen Einrichtung. Er habe nicht lange überlegen müssen, als die Terminanfrage kam, sagt er.

Ohne Wärmestuben und Notunterkünfte geht es nicht

Berührungsängste jedenfalls hat Wegner nicht, und das ist auch gut so. Denn wenn man es genau nimmt, retten all die Wärmestuben, die Notunterkünfte und die Vereine in der Stadt, die dem zunehmenden Elend Menschlichkeit und Wärme entgegensetzen, der Politik den Hintern. Ohne deren oft ehrenamtliches Engagement, das nicht selten durch Spenden finanziert wird, sähe es noch düsterer auf Berlins Straßen aus.

Wenn Kai Wegner es ernst meinte, wenn er so könnte, wie er wollte, er müsste viel mehr Geld herausrücken für all die Hardys am unteren Ende der Berliner Stadtgesellschaft.

Hardy freut sich über ein gemeinsames Foto mit Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner.
Hardy freut sich über ein gemeinsames Foto mit Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner.Jordis Antonia Schlösser/Ostkreuz

Angebote wie die Tee- und Wärmestube sind ein Tropfen auf den heißen Stein, die das Leben auf der Straße erträglicher machen. Trotzdem erhalten in der aktuellen Sparrunde auch einige der Einrichtungen der Obdachlosenhilfe weniger Geld. Auch ein geplantes Sozialunternehmen öffentlichen Rechts, das Wohnraum für Geflüchtete und Obdachlose schaffen sollte, fällt den Sparvorgaben zum Opfer. Trotz politischer Versprechen, die Wohnungslosigkeit bis 2030 zu beenden, fehlen bisher mehr Maßnahmen zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft, wie medizinische und psychiatrische Dienste sowie Sozialarbeit.

Von Notunterkunft zu Notunterkunft tingeln

Selbst die Plätze in den Notunterkünften reichen jetzt schon kaum, wissen die Mitarbeiter hier. Die Not wird eher größer als dass sie abnimmt. Auch Hardy und sein Kumpel ziehen in diesem Berliner Winter von einer Unterkunft in die andere. Nach dem Essen wollen sie sich auf den Weg zur Storkower Straße machen. War man eine bestimmte Anzahl an Nächten versorgt, muss man in der einen Einrichtung pausieren, damit auch andere Bedürftige zum Zug kommen.

Wenn sie über die bevorstehende Bundestagswahl reden, haben Hardy und seine Begleiter konkrete Vorstellungen, was besser werden muss: mehr Sozialwohnungen müssten gebaut werden, vielleicht müsste es auch mehr Wohngeld geben. Und es bräuchte eine härtere Hand gegen Drogenmissbrauch, sagen sie Kai Wegner. „Junkies vor Schulen, verschmutzte öffentliche Toiletten, das geht gar nicht, ja, da müsste man ran.“ Wegner nickt.

Ein Ort zum Ausruhen. Seit 35 Jahren kommen Bedürftige in die Tee- und Wärmestube Neukölln.
Ein Ort zum Ausruhen. Seit 35 Jahren kommen Bedürftige in die Tee- und Wärmestube Neukölln.Jordis Antonia Schlösser/ Ostkreuz

Immerhin: die Neuköllner Tee- und Wärmestube expandiert und erhält auf einem Kirchengrundstück in den kommenden Jahren sogar einen Neubau. Direkt neben dem Gemeindehaus an der Schillerpromenade, das zurzeit mehrere Klassen der Evangelischen Schule beherbergt, soll ein mehrstöckiges Gebäude errichtet werden.

In der „Wärmestube plus“ wird es neben dem bewährten Angebot für mehr Gäste auch 16 Einzelapartments geben, die längerfristig ein Zuhause sein können. „Diese Wohnmöglichkeiten sind dabei ganz bewusst nicht als kurzfristige Lösung oder als Notunterkunft gedacht, auch wenn eine kleine Anzahl an Übernachtungsmöglichkeiten für Notfälle vorgehalten wird“, schreibt Thomas de Vachroi in seinem Konzept. Das Haus ist sein Herzensprojekt, doch im nächsten Jahr geht er in Rente. Ein Nachfolger ist bisher nicht gefunden und das treibt ihn um.

Der Bischof bekräftigt, man wolle weiter der Armut Stimme und Gesicht geben und sei in Gesprächen. Thomas de Vachroi spricht von bundesweit 500.000 Wohnungslosen, für wie viele erfüllt sich die Hoffnung auf ein eigenes Klingelschild und einen eigenen Briefkasten nicht?

Menschen stehen vor der Tee- und Wärmestube des Diakoniewerks Simeon in der Neuköllner Weisestraße.
Menschen stehen vor der Tee- und Wärmestube des Diakoniewerks Simeon in der Neuköllner Weisestraße.Jordis Antonia Schlösser/Ostkreuz

Sich um diese Menschen zu kümmern, sei Aufgabe für die gesamte Gesellschaft und den Staat, so Bischof Christian Stäblein. Kai Wegner stimmt zu: „Wir dürfen da nicht wegschauen.“ Doch ob die Hilfsangebote denn ausreichend sind?, wird er gefragt. Den kirchlichen und anderen Initiativen sei er sehr dankbar, antwortet Wegner, wissend, dass sie den Löwenanteil an der Versorgung der Armen stemmen.

„Wie leicht es gehen kann, dass man falsch abbiegt, wenn das Schicksal einem übel mitspielt, relativiert so manch eigenes Problem“, sagt Wegner nach dem Gespräch mit Hardy. Man glaubt es ihm gern, dass Besuche wie dieser ihn erden und auf das Wesentliche besinnen lassen. Doch in einer Gesellschaft wie unserer kann sich einer wie Hardy davon keine bessere Zukunft kaufen. Was er mitnimmt von diesem Mittagessen? Ein Foto mit Kai, man duzt sich. Und Kai? Einen Auftrag.  ■