Ausstellung in Karlshorst

ASB-Wünschewagen: Wenn Sterbende eine letzte Reise wagen

Der ASB-Wünschewagen ermöglicht es seit vielen Jahren Sterbenden, ein letztes Mal ihre Herzensorte aufzusuchen. Fotografin Lisa Hambsch hält die besonderen Momente mit der Kamera fest.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Einmal noch an den See, an dem sie in der Kindheit so glücklich war. Der ASB-Wünschewagen macht diese letzte Reise möglich.
Einmal noch an den See, an dem sie in der Kindheit so glücklich war. Der ASB-Wünschewagen macht diese letzte Reise möglich.Lisa Hambsch

Wo würden Sie noch ein allerletztes Mal hinwollen? Noch einmal an die Ostsee, wo die Sommer so unbeschwert waren? Noch einmal an die Orte der Kindheit, in den Wald? Im Leben eines jeden Menschen gibt es Orte, die Kraft geben, die Erinnerungen wachrufen. Orte, an denen man sich geliebten Menschen näher fühlt.

Der ASB-Wünschewagen bringt Sterbenskranke zu diesen Orten, die sie ohne Hilfe nicht mehr erreichen würden.

Seit 2014 gibt es das Angebot des Arbeiter-Samariter-Bundes, das sich komplett ehrenamtlich und aus Spenden finanziert. An 23 Orten in Deutschland fahren die Wagen mit dem blauen Sternenaufdruck Menschen zu ihren letzten Herzenszielen.

In Berlin gibt es den Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bundes seit 2016. Hunderte Wünsche wurden seitdem erfüllt. „Noch einmal das Meer sehen, beim Abiball der Tochter dabei sein oder ein letztes Mal dem Lieblingsfußballverein im Stadion zujubeln – wir machen es möglich“, sagt Leonore Schäfer, die Leiterin des Projekts in Berlin.

Kostbare Momente im Leben festhalten

Seit 2022 ist auch die Berliner Fotografin Lisa Hambsch auf einigen Reisen des Wünschewagens dabei. Sie hält die kostbaren Momente der Wünschenden auf Fotografien fest. Eine Auswahl ihrer bewegenden Bilder ist derzeit in einer Ausstellung im Kulturhaus Karlshorst zu sehen.

„Warum machst du das? Diese Reisen sind doch bestimmt fürchterlich traurig“, werde sie oft gefragt. Doch Lisa Hambsch weiß, dass auf den letzten Reisen oft eine große Dankbarkeit und Freude den Ton setzen. „Wir lachen, viel, auch wenn die Krankheit immer dabei ist.“

Nach einem persönlichen Schicksalsschlag hat Lisa Hambsch für sich erfahren, wie wichtig Bilder sind, wenn ein Mensch auf einmal fehlt. Als Fotografin wollte sie etwas Sinnvolles mit ihrer Arbeit tun. Als bei einem Gespräch über ehrenamtliche Möglichkeiten auf der Autobahn der ASB-Wünschewagen im Stau neben sie rollte, sei das wie ein Zeichen gewesen, erinnert sich die 32-Jährige.

Fotografin Lisa Hambsch nimmt von jeder Fahrt etwas Wichtiges mit: Sich an den kleinen Dingen freuen, dankbar sein.
Fotografin Lisa Hambsch nimmt von jeder Fahrt etwas Wichtiges mit: Sich an den kleinen Dingen freuen, dankbar sein.Henk Hogerzeil/Berliner Zeitung

Dann geht es ganz schnell und Lisa Hambsch begleitet ihre ersten Wünschenden. Sie hält sich im Hintergrund, inszeniert nichts und hält doch die intimen Momente inniger Verbundenheit fest.

Sie dokumentiert zum Beispiel still, wie sich zwei Schwestern am Rätzsee in der Nähe der Müritz daran erinnern, wie sie hier oft zusammen beim Camping waren. „Du warst immer so eine Wasserratte“, sagt die eine, als der Wind sie ordentlich durchpustet.

Noch einmal zusammen auf das Wasser schauen. Die beiden Schwestern schöpfen Kraft aus diesem besonderen Ausflug.
Noch einmal zusammen auf das Wasser schauen. Die beiden Schwestern schöpfen Kraft aus diesem besonderen Ausflug.Lisa Hambsch

Oder Rosemarie und Wolfgang, für die die Fahrt mit dem Wünschewagen fast unerträglich schwer ist. Doch der Abschied von der erst kürzlich, völlig überraschend gestorbenen Tochter auf dem Friedhof ist für die beiden ein Herzenswunsch. Rosemarie leidet selber schwer an Lungenkrebs. Als sie am Grab mit ihrer Tochter Zwiesprache hält, überwältigen sie die Emotionen.

Da ist Gerd, der unbedingt noch einmal die Okertalsperre im Harz sehen wollte, weil sein Vater immer von dem gigantischen Schauspiel schwärmte. Als der Talsperrenwart extra für ihn die Tore öffnet, ist Gerd überwältigt.

Gerd ist überwältigt von dem Erlebnis an der Okertalsperre. Schon sein Vater hatte ihm immer davon erzäht.
Gerd ist überwältigt von dem Erlebnis an der Okertalsperre. Schon sein Vater hatte ihm immer davon erzäht.Lisa Hambsch

Ein letztes Mal das Elternhaus sehen, noch einmal ins Musical, noch ein Fischbrötchen und die Nase in die salzige Ostseeluft halten, sich verabschieden vom Meer. Die Wünsche der Sterbenden sind so individuell und kostbar, wie es jedes Leben ist.

Es sind die kleinen Wünsche, die uns am Ende am meisten bedeuten. Oft sammeln die Wünschenden für die Reise noch einmal alle Kräfte. Etwa 30- bis 40-mal fährt der Berliner Wünschewagen los. Einmal noch raus aus dem Heimalltag, dem Hospiz, der Stadt. Oder ein letztes Mal nach Hause fahren. Die eigene Tür aufschließen.

Was bleibt von diesem besonderen Tag, sind die Bilder. „Die Wünschenden haben die Fotos, die an dem glücklichen Tag entstanden sind, oft auch im Sterbeprozess bei sich“, weiß Lisa Hambsch. „Sie schöpfen Kraft daraus.“ Später sind es dann die Angehörigen, die Trost in den Bildern finden.

Die Wünschenden sind mit ihren Krankheiten oft schon ein gutes Stück auf dem Weg, der für uns alle vorgesehen ist, gegangen. Aber auch die Jungen und Gesunden profitieren davon, sich beizeiten mit dem Sterben auseinanderzusetzen.

Noch einmal gemeinsam am Grab der Tochter stehen. Für Rosemarie und Wolfgang ist die Fahrt mit dem Wünschewagen zugleich Herzenswunsch und unheimlich schwer.
Noch einmal gemeinsam am Grab der Tochter stehen. Für Rosemarie und Wolfgang ist die Fahrt mit dem Wünschewagen zugleich Herzenswunsch und unheimlich schwer.Lisa Hambsch

Oft geschieht es, dass Menschen, die den Wünschewagen unterwegs sehen, spontan stehen bleiben, Spenden wollen, Zuspruch äußern. Die eigene Endlichkeit rührt uns an, weil wir ihr nicht entgehen können.

Mit der Fotoausstellung will das Team des Wünschewagens „dem Projekt mehr Sichtbarkeit geben und dadurch auch die Tabuthemen ‚Sterben und Tod‘ ins Licht rücken“, sagt Leonie Schäfer. Das große Tabu Tod, es kann fröhlicher, dankbarer und lebendiger sein, als wir denken.

„Die Fahrten rücken die Dinge jedes Mal wieder ins rechte Gleichgewicht“, sagt Lisa Hambsch. „Ich weiß die kleinen Dinge zu schätzen. Dass man gesund ist, dankbar sein kann für sinnvolles Tun, das ist mehr wert als jede große Party.“

Die Fotos sind im Foyer im ersten Obergeschoss des Kulturhauses Karlshorst, Treskowallee 112, bis zum 31. Dezember zu sehen. Geöffnet ist montags bis sonnabends von 10 bis 18 Uhr, ausgenommen an Feiertagen. ■