Personalkosten explodieren

Vivantes: Volle Kliniken, leere Kassen! Wie geht das eigentlich?

Deutschlands größter kommunaler Krankenhauskonzern Vivantes hat Zahlen vorgelegt, die extrem gesund wirken. Aber das scheint nur so.

Author - Karim Mahmoud
Teilen
Auch das Klinikum Am Urban in Kreuzberg gehört zum Vivantes-Netzwerk.
Auch das Klinikum Am Urban in Kreuzberg gehört zum Vivantes-Netzwerk.Andreas Gora/imago

Mehr Patienten, mehr Operationen, mehr Investitionen – bei Vivantes scheint auf den ersten Blick alles stabil zu sein. Deutschlands größter kommunaler Krankenhauskonzern hat Zahlen vorgelegt, die extrem gesund wirken und sich sehen lassen können. Doch wer hinter die Kulissen blickt, stößt auf eine Zahl, die stutzig macht: Die Personalkosten lagen im Jahr 2024 bei über 1,2 Milliarden Euro – fast so hoch wie der gesamte Umsatz!

735.000 behandelte Fälle in einem Jahr, über 10.000 Geburten, fast 100.000 OPs – die Berliner vertrauen auf Vivantes. Und das zu Recht. Die Kliniken liefern. Der Umsatz erreichte vergangenes Jahr 1,66 Milliarden Euro. Auch bei den Krankenhausleistungen gab’s ein dickes Plus von fast zwölf Prozent.

Trotz all dem bleibt am Ende ein dickes Minus – 146 Millionen Euro Verlust stehen 1,66 Milliarden Euro Umsatz gegenüber. Wie kann das sein? Die Geschäftsführung beteuert, der Verlust liege unter Plan, der Sanierungskurs sei „auf gutem Weg“. Trotzdem, es bleibt die Frage: Wie kann ein Konzern so viel leisten – und trotzdem finanziell auf der Kippe stehen?

Sicher: Die wirtschaftliche Situation der Kliniken in Deutschland ist immer noch herausfordernd. Seit Einführung des Fallpauschalensystems im Jahr 2003 haben noch nie so viele Krankenhäuser eine so miserable wirtschaftliche Lage beklagt wie im vergangenen Jahr.

Vivantes-Personal – Segen und Achillesferse zugleich

Bei Vivantes ist die Lage besonders dramatisch. Dabei ist der Klinikkonzern ein Riese mit Herz. Über 20.000 Beschäftigte arbeiten hier – aus 132 Nationen, in 170 Berufen. Ob Pflege, Ärzteteam oder Reinigungskraft – der Laden läuft nur dank der Menschen, die täglich alles geben. Fast jeder Zweite arbeitet in Pflege oder Funktionsdienst. Und die Leute müssen natürlich auch gut bezahlt werden.

Aber genau diese Stärke hat ihren Preis. Die Lohnkosten explodieren – 1,259 Milliarden Euro kostete das Personal im Jahr 2024. Das ist der Löwenanteil vom gesamten Umsatz, nämlich fast 76 Prozent. Mit neuen Tarifverträgen, besseren Arbeitsbedingungen und mehr Ausbildungsplätzen investiert Vivantes bewusst in seine Belegschaft.

Der Tarifvertrag Pro Personal Vivantes, der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pflege- und Funktionsdienst entlastet, wurde bis Ende 2027 verlängert. Und mit dem Marburger Bund vereinbarte der Konzern einen neuen Tarifvertrag für die rund 2500 Ärztinnen und Ärzte. Das ist gut für die Beschäftigten, aber wirtschaftlich ein riskanter Drahtseilakt.

Auch Hightech bei Vivantes produziert hohe Kosten

Auch bei der Digitalisierung geht Vivantes in die Offensive: Dienstpläne per App, digitale Entgeltabrechnung, Algorithmen zur Schichtplanung – klingt alles nach Zukunft. Und soll langfristig entlasten. Aber auch hier gilt: Die Kosten schlagen erst mal zu Buche, bevor die Effekte sichtbar werden.

Vivantes kämpft also – an der medizinischen und der wirtschaftlichen Front. Die Geschäftsführung ist überzeugt: Bis 2029 will man finanziell solide dastehen, alle Klinikstandorte sollen erhalten bleiben. Nur ist der Druck natürlich gewaltig. Denn wenn fast jeder Euro für Personal draufgeht, bleibt kaum Luft zum Atmen – geschweige denn für Rücklagen oder Spielräume bei unerwarteten Krisen. Und den Patienten dürfte langsam auch mulmig werden: Bekommen sie noch alles, was sie brauchen, um wirklich gesund zu werden?

Vivantes-Chef Johannes Danckert sieht Vivantes ist auf Sanierungskurs.
Vivantes-Chef Johannes Danckert sieht Vivantes ist auf Sanierungskurs.Funke Foto Services/imago

Dazu Johannes Danckert, Vorsitzender der Vivantes-Geschäftsführung: „Vivantes ist auf Sanierungskurs. Wir konnten die Zahl der behandelten Fälle und unsere Einnahmen deutlich steigern, während wir gleichzeitig in unsere Infrastruktur investierten.“ Er gehe davon aus, dass der Konzern auch unter den Bedingungen der Krankenhausreform künftig alle Leistungen anbieten wird, die er heute für seine Patienten erbringt. Allerdings sei Vivantes noch nicht am Ziel.

Vivantes steht nicht alleine da. Der Klinikkonzern erfährt gerade, was viele Kliniken im Land erfahren: Sie retten Leben, sie modernisieren, sie bilden aus – aber finanziell stehen sie auf Messers Schneide. Hier ist nicht nur die Politik gefragt, auch die Klinikleitungen sind gefordert, die Leute also, die über die Einannahmen und Ausgaben entscheiden. Die Top-Manager im Klinikbetrieb. Denn am Ende geht es immer auch um die eine große Frage: Wer bezahlt das Gesundheitssystem von morgen?

Vivantes 2024 in Zahlen und Fakten:
  • 8 Klinika und ein Fachkrankenhaus für Geriatrie
  • 1,662 Mrd. € Umsatz
  • 1,259 Mrd. € Personalaufwand
  • 362 Mio. € Materialaufwand
  • 134 Mio. € Investitionen, davon 106,2 Mio. € Eigenanteil
  • -146,0 Mio. € Jahresergebnis
Alltag auf der Station eines Vivantes-Krankenhauses. Die 20.215 Beschäftigten des Klinikkonzerns kommen aus 132 Ländern.
Alltag auf der Station eines Vivantes-Krankenhauses. Die 20.215 Beschäftigten des Klinikkonzerns kommen aus 132 Ländern.Funke Foto Services/imago
Pflege, Medizin und Qualität:
  • 735.129 Fälle, davon
  • 358. 225 ambulant,
  • 197.575 stationär und
  • 179.329 Fälle in den Medizinischen Versorgungszentren (MVZ)
  • 92.087 Operationen, davon
  • 16.834 ambulant
  • 321.701 Patient in Zentralen Notaufnahmen
  • 5963 Betten (davon 1598 Psychiatrie und 148 Ida-Wolff-Krankenhaus für Geriatrie)
  • 5,6 Tage durchschnittliche Verweildauer
  • 10.561 Babys kamen 2024 bei Vivantes zur Welt
  • 117 von Fachgesellschaften zertifizierte Kliniken und interdisziplinäre Zentren
Mitarbeiter:
  • 20.215 Beschäftigte, davon
  • 10.182 Beschäftigte in Pflege und Funktionsdienst
  • 1324 Auszubildende
  • 15.552 Vollzeitstellen
  • 132 Nationen