Heimatgefühl

Ukrainerinnen stürmen Saal 3: Heimat auf der Leinwand

Ukrainische Filme ziehen hundertfach Geflüchtete ins Multiplex Hohenschönhausen – Heimatgefühl, Vernetzung und Popcorn‑Debatten inklusive.

Author - Berliner KURIER
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Foyer des Kinos in Hohenschönhausen vor dem ukrainischen Roadmovie
Foyer des Kinos in Hohenschönhausen vor dem ukrainischen RoadmovieAlexander Reich

Im Multiplex am S‑Bahnhof Hohenschönhausen sorgt alle paar Wochen die Reihe „Ukrajina Cinema“ für volles Haus. Sie zieht ein junges, größtenteils weibliches Publikum. Auf dem Programm stehen Filme auf Ukrainisch mit deutschen Untertiteln. Für viele Geflüchtete ist das ein Stück Heimat in der Fremde; einige Eintrittskarten gehen an kriegsversehrte Männer.

Saal 3 ist auch an diesem Abend wieder ausverkauft. Bis auf den letzten der 400 Plätze. Laut Kinochef André Pesek passiert das „sehr, sehr selten.“ Am ehesten noch beim Seniorenkino, der zweiterfolgreichsten Reihe in dem Kino.

Eine Familie ist für den Kinoabend aus Lübbenau angereist

Im Foyer herrscht geordnetes Gedränge, Popcorn‑Eimer werden gefüllt, Slushies gezapft. Als Ehrengäste kommen 16 kriegsversehrte Soldaten.

Valeria (18) und Solomija (17) sind aus Lichtenberg da, leben seit vier Jahren in Berlin und waren hier noch nie im Kino. Für sie ist der Film Heimat‑Erinnerung, egal welcher. Eine Familie aus Lübbenau ist extra angereist: Ludmila (40) ist 2022 mit ihren Kindern geflohen, hat sich durch viele Deutschstunden gequält und träumt von der Selbstständigkeit als Modedesignerin.

Der Film des Abends, „Ich, ein Pobeda und Berlin“, ist ein Roadmovie über einen Musiker aus Lwiw. Er spielt in den frühen 90ern: Pobeda‑Oldtimer aus den GAZ-Werken der Stalinzeit, Schmiergeld beim Zoll, Berlin‑Skurrilitäten — viel Gelächter, noch mehr Schmunzeln, zum Schluss warmer Applaus.

Kinochef Pesek hat von einem Verbesserungsvorschlag gehört: besseres Popcorn. Tatsächlich wünschen sich viele der ukrainischen Kinobesucher ausdrücklich  „Popcorn mit Käse, doppelt Käse“. Pesek will daran arbeiten.

Als nächstes kommt zu Halloween ein Horrorthriller, in dem eine Hexe den Krieg gewinnt

Im Publikum sitzen auch Kriegsgeschädigte wie Sasha (43) aus Krementschuk und Wolodymyr aus Kiew, beide haben einen Arm verloren und bekommen in Deutschland Prothesen. Der Film hat Sasha an seine Kindheit erinnert, in der seine Eltern Handel mit Dingen aus Polen trieben.

Die Reihe zeigt, wie Kino jenseits von Integrationskursen Menschen zusammenbringen kann: Heimat im Originalton, Netzwerke, Austausch — und eine Brise Normalität. Nach dem Film werden alle Popcorneimer und Nachoschalen mit rausgenommen. Das Publikum ist im Gefühl vereint, etwas Vertrautes gefunden zu haben. Fortgesetzt wird die Reihe zu Halloween mit einem Horrorthriller aus der Ukraine: „Die Hexe von Konotop“. Die Titelheldin nimmt blutige Rache an den Mördern ihres Mannes. Das sind natürlich keine normalen Gangster, sondern russische Soldaten.