Für die Fahrt von Pankow bis zum Alexanderplatz zeigt die BVG-App am Morgen eine geringe Auslastung. Halb zehn ist hier normalerweise nicht mehr so viel los. Aber an einem Streiktag der GDL sieht das anders aus. Wir haben ja mittlerweile eine gewisse Erfahrung mit Streiktagen.
Ab dem Bahnhof Vinetastraße gibt es also wie erwartet nur noch vereinzelt Sitzplätze in der U2. Die Fahrgäste weichen in Berlin auf die U-Bahn aus. Weil wir dich lieben, wirbt die BVG, an Tagen wie diesen wird diese Liebe von den Berlinern erwidert.
Notgedrungen erwidert, muss man dazu sagen. Wer etwa zur Grünen Woche will, muss in den kommenden Tagen mit der U2 bis Theodor-Heuss-Platz oder Kaiserdamm fahren und dann laufen. Ein Shuttle vom Bahnhof Olympiastadion fährt die Messe ebenfalls an. Man rechnet bei der Grünen Woche wegen des Streiks mit weniger Besuchern.

Und auch anderswo stellt man sich auf weniger Kundschaft ein. In den Läden und Geschäften an Bahnhöfen müssen die Händler mit Umsatzeinbußen rechnen. Die Unzufriedenheit wächst nicht nur in der Wirtschaft und bei den Fahrgästen. Auch der Interessenverband Allianz pro Schiene, in dem die GDL Mitglied ist, der aber auch von der Bahn unterstützt wird, kritisierte das Vorgehen der Arbeitnehmerseite.
„Die häufigen und zunehmend längeren Streiks auf der Schiene sind Querschüsse für die Verkehrswende“, teilte Verbandsgeschäftsführer Dirk Flege mit. „Sowohl in der Wirtschaft als auch bei den Reisenden wird Vertrauen zerstört.“ Er wünsche sich ein verbales Abrüsten. Zudem sprach sich Flege, wie auch Verkehrsminister Volker Wissing, für ein Schlichtungsverfahren aus.

Die Berliner jedenfalls trifft der vierte GDL-Streik der Bahner vorbereitet. Abgesehen von einem morgendlichen Regenguss herrscht auch leidlich gutes Radfahrwetter. Schlimmer würde es aussehen, wenn sich auch die BVG, wo sich Verdi gerade am Beginn der Verhandlungen befindet, ebenfalls zu einem Streik gleichzeitig mit der GDL entscheiden würde. Die BVG, die uns in der Region zusammen mit der ODEG und einem halbwegs stabilen Notfahrplan den Allerwertesten transportiert, plant aber in der aktuellen Situation, die größtmöglichen Kapazitäten auf Schienen und Straßen zu bringen, und ruft Reisende zu Geduld und Rücksichtnahme auf.
Auch wenn die Berliner an Knotenpunkten der U-Bahn wie am Alexanderplatz manchmal nur mit Schieben in die Bahn kommen, nehmen sie die rappelvollen Waggons gelassen. Grundsätzlich aber brodelt es schon bei der Frage nach dem Verständnis für die Streikenden:
Einer Umfrage zufolge stößt der längste Streik der GDL in der Bevölkerung überwiegend auf Ablehnung. 59 Prozent haben kein Verständnis dafür, wie die am Mittwoch veröffentlichte Erhebung von Yougov ergab. 34 Prozent haben Verständnis für den Ausstand. Das Institut befragte nach eigenen Angaben 4124 Personen in Deutschland ab 18 Jahren. Die Ergebnisse sind demnach repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren.
Tarifstreit dauert seit Monaten
Im seit November laufenden Tarifstreit ist dieser Streik, der bis Montag 18 Uhr andauert, der vierte und mit sechs Tagen längste Arbeitskampf der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Neben finanziellen Forderungen dreht sich die Auseinandersetzung vor allem um die Absenkung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter.
Die GDL will diese von 38 auf 35 Stunden bei gleichbleibendem Gehalt reduzieren. Die Bahn hat bisher ein Wahlmodell angeboten, das eine einstündige Absenkung ohne finanzielle Einbußen vorsieht. Wer sich dagegen entscheidet, erhält stattdessen 2,7 Prozent mehr Geld. Gewerkschaftschef Claus Weselsky sieht in der Offerte keine Grundlage für weitere Verhandlungen. ■