Die Meldungen kommen immer schneller aus allen Bezirken in Berlin: eine besorgte Mutter aus Mahlsdorf schreibt uns, dass dort an einer Grundschule 600 Kinder seit Montag, dem ersten Tag nach den Ferien, ohne Mittagessen sind. An anderen Schulen kommt zu wenig Essen an, es wird zu spät geliefert oder es ist ungenießbar. In Woche eins nach den Sommerferien hakt es gewaltig bei der Versorgung der Berliner Schüler mit kostenlosem Mittagessen. Der Hauptgrund für die Misere: Der neue Caterer „40Seconds“ hat sich mit dem Auftrag, 50.000 Berliner Schüler mit essen zu beliefern, übernommen.
Schon im Vorfeld hatten Mitbewerber Bedenken angemeldet, ob der Caterer aus dem Stand seine Produktion von schätzungsweise 5000 auf 50.000 Portionen verzehnfachen könne. Nun zeigt sich: Er kann es nicht.
Chaotische Zustände bei der Essenslieferung an Schulen
Der Fall in Mahlsdorf steht exemplarisch für die chaotischen Zustände bei der Essenslieferung. Am Montag fertigte der Hort dort ein Gedankenprotokoll an, welches dem KURIER vorliegt: „Leider hat unsere Schule heute das Mittagessen erst nach 11:30 Uhr geliefert bekommen, sodass die Kinder, die, aufgrund des Stundenplanes, nach Hause gingen, kein Essen bekommen haben. Als der Fahrer mit dem Essen kam, roch es schon sehr stark aus dem Auto. Das Küchenpersonal war sofort zur Stelle und sie stellten fest, dass der Broccoli roch und der Lachs schlecht war“, heißt es darin. Das Essen sei zudem kalt angekommen, die Liefertemperatur müsste bei mindestens 69 Grad liegen. Die Kinder in Mahlsdorf gingen ohne Essen nach Hause.
Schulen in vielen Bezirken betroffen
Auch der Vorsitzende des Verbands Berliner Grundschulleitungen, Stephan Witzke, berichtet im Tagessiegel von schweren Versorgungsproblemen an seiner Neuköllner Grundschule – besonders schlimm, weil auch Kinder leer ausgegangen seien, von denen Witzke weiß, dass sie zu Hause nicht zuverlässig mit Essen versorgt sind. Witzke weiß von mindestens einem halben Dutzend Schulen im Bezirk, die ähnliche Probleme mit „40 Seconds“ haben.
Die Mahlsdorfer Schüler tröstet das wenig. Bei ihnen kamen im Laufe der Woche vergammeltes Gemüse, brauner Salat und alte Gurken an. Als die Schule den Caterer informierte, erhielt sie nur zur Antwort: „Dann teilen sie es nicht aus".
„Das geht gar nicht, das können wir nicht hinnehmen“, entrüstet sich auch Lichtenbergs Schulstadträtin Sandy Mattes (SPD) gegenüber dem Tagesspiegel. In ihrem Bezirk seien vier Schulen von den Problemen mit „40 Seconds“ betroffen.
Das Bezirksamt Reinickendorf teilte auf rbb-Nachfrage mit, dass sechs der neun durch „40 seconds“ belieferten Grundschulen im Bezirk Beschwerden eingereicht hätten. Auch in Spandau, wo „40 seconds“ sechs Schulen beliefert, gab es zum Teil dieselben gravierenden Probleme. „Rechnungen werden für nicht erfolgte Lieferungen nicht bezahlt“, stellte eine Sprecherin des Bezirks Pankow klar. Auch hier wird bereits eine Kündigung des Vertrages mit „40 seconds“ in Erwägung gezogen.
Schulen sollen selber Essen bestellen
Das Schulamt in Marzahn-Hellersdorf verschickt indes Schreiben an die Schulen, die verzweifeltes Vorgehen empfehlen. Wenn der Caterer weiter nicht liefert, sollen die Schulen auf eigene Faust Essen bestellen – auf Kosten des vertragsbrüchigen Caterers! In Neukölln will ein Schulleiter sogar Pizza bestellen!
Im Schreiben der Schulverwaltung Marzahn-Hellersdorf heißt es: „In Anbetracht der derzeit vielerorts bezeugten Nicht- / Schlechtleistung des bezuschlagten Schulcaterers „40Seconds“ sind wir als Schulträger in ständigem und energischem Austausch mit der Firma.“
Man habe daher „konkrete Schritte ergriffen, um die desaströse Situation zu beheben und die betroffenen Schulen zu entlasten. Schlecht- und Nichtleistung werden Firma 40Seconds in Rechnung gestellt, dieses Vorgehen wurde mit deren Geschäftsführer abgestimmt.“
Betroffene Schulen dürfen, wenn der Caterer nicht bis 10 Uhr liefert, in Eigenregie einen wirtschaftlichen Essenslieferanten für alle Schülerinnen und Schüler auswählen und auf Kosten von „40Seconds“ bestellen.
Die Leistungen oder besser die Nicht-Leistungen sollen weiterhin dokumentiert werden, die Schulverwaltung will rechtliche Schritte gegen den Caterer einleiten.
Eltern super-sauer über mangelhafte Essenslieferung
Elternvertreter sind sauer, sprechen von „Versagen auf ganzer Linie“. Sie fordern die Schulverwaltung auf, „40Seconds von seinen Leistungspflichten final zu entbinden und einen fähigen, geeigneten und wirtschaftlichen neuen Caterer zu verpflichten, welcher unverzüglich die Essensversorgung sicherstellt.“
Und der Caterer, der zuletzt 240 neue Mitarbeiter für die Versorgung der 108 Schulen in Berlin zusätzlich eingestellt hatte? Auf der Webseite des Unternehmens findet sich eine Nachricht des Geschäftsführers Thorsten Schermall. „Der Zuschlag vieler Schulen erfolgte erst während der Ferienzeit. Die Ursache der späten Auftragsvergabe lag leider in der vergaberechtlichen Notwendigkeit, die der Senat zwingend einhalten musste, weil einige Mitbewerber versucht haben, mit den gegebenen rechtlichen Möglichkeiten die finalen Vergaben herauszuzögern.“ Dadurch bedingt habe man erst kurzfristig reagieren können. Man freue sich auf die nächsten vier gemeinsamen Jahre!
Eine schnelle Besserung der Zustände ist kaum zu erwarten, Eltern betroffener Kinder sollten lieber eine Stulle mehr einpacken, bis das Desaster bei Schulessen behoben ist. ■