Vor 13 Jahren war René am Ende. Drogen, Schulden, Kriminalität. Heute ist er Stallmeister am Stadtrand von Berlin – und zeigt: Der Weg aus der Sucht ist möglich! Am Poloplatz in Frohnau betreibt die Stiftung Synanon seit zwei Jahrzehnten einen Betrieb, in dem Pferde ein wichtiger Teil der Rehabilitation suchtkranker Menschen sind.
Wir gehen über die Koppel. René Zimmermann hält einen Führstrick in der Hand. Die Pferde wiehern ihm zu. Er lächelt. Der 47-Jährige ist seit 13 Jahren clean. Die Stallarbeit, die Verantwortung für die Tiere waren wichtige Bausteine für sein neues Leben. Am anderen Ende der Koppel steht Rolex, ein schwarzer, kräftiger Friese mit wachem Blick. Als René sich ihm nähert, setzt sich der Wallach in Bewegung. „Der kennt mich“, sagt René. Er streicht ihm den Schopf aus den Augen. Die beiden sind vertraut.
„Ich habe mir sogar Aspirin duch die Nase gezogen“
„Ich bin in Biesdorf in einem behüteten Elternhaus aufgewachsen. Ich bin Scheidungskind“, erzählt René. Mit 13, 14 Jahren habe es angefangen. Zunächst der Joint im Freundeskreis, die Feten am Wochenende und irgendwann kamen Partydrogen dazu. „Als ich das erste Mal Ecstasy im Club nahm, war das der Rausch, den ich immer wieder erleben wollte.“
Er spricht darüber, dass er sich mit Nebenjobs über Wasser hielt und die kriminelle Energie entwickelte, „die nötig ist, um die Sucht zu finanzieren“. Acht Jahre lang arbeitete er in einer Spielautomatenfirma. „Anfangs habe ich nur Kleinigkeiten mitgenommen, dann immer mehr. Schließlich veruntreute ich Paletten voller Ersatzteile im Wert von 5000 Euro pro Monat.“
All das Geld gab er für Drogen aus. „Morgens nahm ich Speed oder Kokain zum Frühstück, dann ging ich zur Arbeit und konsumierte dort weiter. Abends ging ich feiern. Dann habe ich vielleicht zwei, drei Stunden geschlafen, bevor es wieder zur Arbeit ging.“

Renè war in einer Abwärtsspirale gefangen. Selbst Essen wurde nebensächlich. „Manchmal aß ich nur alle drei Tage etwas. Wenn ich nichts hatte, habe ich sogar eine Aspirin zerbröselt und durch die Nase gezogen. So krank wird man da oben im Kopf.“ Er verlor seinen Job, weil er nicht mehr zur Arbeit erschien. „Plötzlich fehlte mir das Geld. Speed und Koks konnte ich mir nicht mehr leisten. Also bin ich auf Heroin umgestiegen. Das war billiger.“
„Ich war 33 Jahre alt und habe meine Mutter um zehn Euro angebettelt. Anfangs hat sie mir noch ohne zu fragen etwas gegeben, aber irgendwann nicht mehr.“ Zuhause stapelten sich Rechnungen, Briefe von der Polizei, vom Arbeitsamt. „Die Miete hab ich nicht mehr bezahlt, keinen Strom, gar nichts.“

Irgendwann merkte er: So geht es nicht weiter, er rast auf einen Abgrund zu. „Ich bin dann an der Warschauer Straße zu einer Ärztin gegangen. Ich habe ihr gesagt, dass ich ein kleines Drogenproblem habe. Sie gab mir eine Packung Baldrian-Tabletten und einen Flyer von Synanon.“
Den Zettel las er sich zum Glück durch. Synanon ist eine suchtmittelfreie Selbsthilfeeinrichtung in Berlin. René fuhr nach Weißensee und sagte der Frau an der Rezeption: „Ich habe ein Drogenproblem.”
„Oft erreicht ein Pferd mehr als tausend Worte.“
René erzählt: „Sie haben mir einen Schlafplatz gezeigt und mir drei Mahlzeiten am Tag gegeben. Da waren viele wie ich. Es gab weder Mitleid noch Vorwürfe. Einfach Leute, die wussten, wovon ich rede.“ Und plötzlich, so erzählt er, fiel ihm so viel Ballast von den Schultern. „Genau da fing mein neues Leben an.“

Nach nur wenigen Tagen gehörte René zu den sechs Suchtkranken, die nach Frohnau fahren durften, um durch die Arbeit im Stall Routine zu erlernen. Für René Neuland. „Ich hatte noch nie etwas mit Pferden zu tun. Ich weiß noch genau, wie es war, als ich das erste Mal ein Pferd zur Weide führen durfte. Das war ...“ Er nickte. „... das war ein großer Moment für mich.“ Füttern, Ausmisten, Tränken, Weidepflege, Zäune reparieren. „Frohnau ist das komplette Gegenteil dieser Drogenhotspots in Berlin“, sagt er.
Arne Schriever (48), Leiter des Reitbetriebs der Stiftung Synanon in Frohnau, steht neben René. Vor vielen Jahren kam er durch die Arbeit seines Vaters mit der Stiftung Synanon in Kontakt. Schriever ist mit Pferden aufgewachsen. Er nahm an deutschen Meisterschaften und Weltmeisterschaften für Jungpferde teil. Heute steht die Arbeit mit suchtkranken Menschen im Vordergrund.
Vor gut 20 Jahren wurde die Stallanlage in einen Zweckbetrieb für Synanon umgewandelt. Für Schriever ist die Arbeit mit Pferden ein wichtiger Bestandteil der Suchttherapie: „Pferde können das Selbstbewusstsein, das Körpergefühl und das Sozialverhalten stärken und gleichzeitig Ängste und Depressionen mildern.“
Wenn Suchtkranke zum Stall kommen, geht es darum, Struktur, Verantwortung und Verlässlichkeit neu zu erlernen. Und gerade Pferde sind eine große Hilfe. Arne sagt: „Sie reagieren direkt auf Stimmung und Unsicherheit. Wer in seinem Leben die Kontrolle verloren hat, kann durch die Arbeit mit Pferden wieder ein Gefühl für sich selbst entwickeln. Oft erreicht ein Pferd mehr als tausend Worte.“

Bis zu sieben suchtkranke Menschen kommen täglich nach Frohnau, um sich um die Pferde zu kümmern. Der Tag beginnt morgens mit Füttern und Ausmisten, anschließend werden die Tiere auf die Weiden gebracht. Es müssen Zäune instand gehalten, Flächen gepflegt und Wassertröge gefüllt werden.
„Das Therapeutische beginnt nicht erst beim Reiten“, sagt Arne Schriever. „Es liegt schon im täglichen Miteinander mit den Tieren. Verantwortung, Verlässlichkeit, Routine. All das müssen viele hier erst lernen oder wiedererlernen.“ Arne beobachtet den Hofkater Garfield, der sich zu uns unter die Kastanien gesellt: „Wer das Glück hat, mit Tieren zusammen zu sein, erlebt wieder alles mit allen Sinnen, ganz ohne Substanzen. Und das ist ein wahrer Schatz, für den sich der harte Kampf zurück ins echte Leben lohnt.“

Für René war der Weg aus der Sucht lang und schmerzhaft. René meidet heute konsequent alle Orte, an denen er früher unterwegs war. „Ich kann nicht mehr in den Technoclub gehen oder in eine Kneipe“, sagt er. „Ich weiß, dass ich vielleicht schwach werden würde, wenn mir jemand etwas anbieten würde. Deshalb habe ich klare Grenzen für mich gezogen.“
„Früher gab es nur die Droge. Heute habe ich ein Zuhause.“
Er trägt Verantwortung. Und zwar für sich selbst. Aber auch für die Tiere. Und für die Menschen, die neu zu Synanon kommen und ein neues Leben beginnen wollen. Über die Jahre hat er sich vom Stallhelfer zum Verantwortlichen hochgearbeitet. Er weiß, wie wichtig es ist, gebraucht zu werden. Viele von denen, die heute neben ihm im Stall stehen, waren genau wie er: komplett am Boden. „Ich kenne das Gefühl, wenn alles verloren scheint. Deshalb versuche ich, den Neuen zu zeigen, dass es einen Weg raus gibt. Aber sie müssen ihn selbst gehen wollen“, sagt er.