Brandbrief

Pankow schlägt Alarm – so schaffen wir Integration nicht!

Pankow nimmt in Berlin die meisten Geflüchteten auf und kommt an seine Grenzen. Es fehlen 300 Willkommensklassen, Kinder müssen in andere Bezirke fahren.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Bezirksbürgermeisterin Cordelia Koch hat einen Brandbrief veröffentlicht. Der Senat sei in der Pflicht, Integration zu finanzieren.
Bezirksbürgermeisterin Cordelia Koch hat einen Brandbrief veröffentlicht. Der Senat sei in der Pflicht, Integration zu finanzieren.Paulus Ponizak

Pankow ist der Bezirk, der die meisten Geflüchteten in Berlin aufgenommen hat. 5000 Menschen sind im Nordost-Bezirk untergebracht worden, 15 Prozent der Geflüchteten im Land Berlin. Um diese Menschen unterzubringen, ist kaum etwas undenkbar: Ein alter Baumarkt wird notdürftig hergerichtet, in Innenhöfen sollen Wohnklötze errichtet werden. Die Container in Buch sind rappelvoll.

Nun schlägt Pankows Bürgermeisterin Cordelia Koch (Grüne) Alarm: Der Bezirk kommt mit der sozialen Infrastruktur nicht hinterher. Besonders dramatisch ist die Situation bei Schulen und bei der Sozial- und Gesundheitsvorsorge.

300 Willkommensklassen fehlen in Pankow

Die Infrastruktur ist am Limit, warnt jetzt die Bezirksbürgermeisterin in einem Schreiben. Kinder aus den Einrichtungen für Geflüchtete müssen schon jetzt in andere Bezirke gefahren werden, um am Unterricht teilnehmen zu können. In Pankow fehlen allein 300 Willkommensklassen. Auch an allen anderen Ecken hakt es.

Trotz intensivster Bemühungen gelingt es nicht, diese Menschen mit Integrationsangeboten anständig zu versorgen: statt einer finanziellen Vorsorge für notwendige Integrationsleistungen folgen im Land Berlin Projekte auf Projekte. Und die hierfür zur Verfügung gestellten Mittel sind auch noch zu knapp“, so Cordelia Koch in dem Brandbrief.

Im Bezirk drohten massive Probleme, wenn das Land Berlin nicht genug Geld für Integration bereitstellt.

In Pankow sind besonders viele Kinder und Jugendliche mit ihren Familien untergebracht. „Mit den gravierenden Auswirkungen auf die Infrastruktur (z. B. Kita- und Schulplätze, ärztliche Versorgung, Personal in Sozial-, Jugend- und Gesundheitsamt) wird der Bezirk jedoch allein gelassen“, so Koch weiter.

Weil die Bildungsverwaltung nicht genug Willkommensklassen anbieten kann, müssen Kinder per Shuttle in andere Bezirke gebracht werden.

Alternativ hat Pankow das erfolgreiche Modell der „Hallo-Klassen“ in der Volkshochschule entwickelt, bekommt jedoch für beide Maßnahmen die Kosten nicht erstattet. „Hier müssen dringend die Kriterien für Willkommensklassen bzw. Bildungsangebote überarbeitet und die Kosten übernommen werden“, fordert die Bezirksbürgermeisterin. Zudem müssen alle Projekte dauerhaft gesichert und nicht die Mittel dafür gekürzt werden.

Gelder für Flüchtlinge werden nicht nach Bedarf verteilt

Aktuell laufen die Beratungen für den Haushalt 2024/25. Ein Lenkungsgremium, auf dessen Besetzung die Bezirke keinen Einfluss hatten, soll die „Mehrbedarfe Flucht für 2024/25“ identifizieren. Obwohl hier die meisten Flüchtlinge untergebracht sind, darf Pankow nicht mitsprechen. Vertreten sind dort nur zwei Bezirke, nämlich Reinickendorf (Standort AKUZ Tegel) und Friedrichshain-Kreuzberg, der keine nennenswerten Unterbringungsplätze für Geflüchtete bereitstellt.

„Wie kommt es eigentlich, dass ausgerechnet der Bezirk, der die meisten Geflüchteten Berlins aufnimmt, nicht beteiligt ist?“, so Bezirksbürgermeisterin Cordelia Koch.

Auch werden die Gelder nicht nach tatsächlichem Bedarf gestaffelt: „5 von 8 Millionen Euro des Integrationsfonds werden zu gleichen Teilen auf die Bezirke aufgeteilt und nur 3 Mio. Euro nach Belegungsstatistik des LAF“, kritisiert Koch die ungerechte Verteilung der Gelder. Der Verteilungsschlüssel für soziale Infrastruktur müsse sich an der Zahl der untergebrachten Geflüchteten orientieren.

Mehr Hilfe für traumatisierte Menschen

Der Bezirk hat die Mängel in einem Forderungskatalog aufgelistet: Es fehlt an stetiger Finanzierung, an Dolmetscherdiensten, Personalstellen für Ankunftsstrukturen in Stadtteilzentren, Geldern für Stadtteilmütter und für Wohnraumberatung. Auch die Strukturen für die Beratung für Flüchtlinge mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen und die Suchtberatung für Geflüchtete sind unterfinanziert.

Auch traumatisierte Flüchtlinge werden in Pankow nicht adäquat psychologisch betreut. Allein das Jugendamt in Pankow bräuchte zwölf weitere Stellen, um den Anforderungen Herr zu werden. Ob man die am Ende auch besetzen kann, steht noch auf einem anderen Blatt.

Die Probleme, die sich in Pankow zeigen, sind exemplarisch: Willkommenskultur und Integration sind nicht mit der Unterbringung von Geflüchteten getan, sie fängt damit gerade erst an.