Welcher junge Mann möchte schon gerne zur Armee. Man hat Träume, will etwas aus seinem Leben machen, man ist verliebt. Da passte es in der DDR nun überhaupt nicht, wenn man dann mit 18 Jahren zum Wehrdienst eingezogen wurde. So erging es auch Olaf Berger, der einer der beliebtesten Schlagersänger („Es brennt wie Feuer“) des Landes wurde. In seinem Buch „Es kommt so oder so“ erzählt der Star, der gerade 60 geworden ist, jetzt zum ersten Mal offen über seine Zeit bei den DDR-Grenztruppen. An der Berliner Mauer musste der gebürtige Dresdner Anfang der 80er Jahre seinen Dienst verrichten, was er als Höchststrafe empfand. Doch Berger hatte auch Glück: Ausgerechnet bei den DDR-Grenztruppen wurde der Grundstein für seine Schlager-Karriere gelegt.

Die Grenztruppen – sie war die Einheit, die militärisch die Staatsgrenze der DDR zur BRD und Westberlin vor dem Klassenfeind schützen sollte, wie es im SED-Propaganda-Jargon hieß. In Wahrheit sollten die Grenzer mit der Schusswaffe verhindern, dass DDR-Bürger über diese Grenze mit Todesstreifen, Selbstschussanlagen, Stacheldrahtzäunen und Betonwänden das Land verlassen.
Laut Unterlagen versuchten über 100.000 DDR-Bürger zwischen 1961 und 1989 über die innerdeutsche Grenze oder über die Berliner Mauer zu fliehen. Nach Angaben der Stiftung Berliner Mauer wurden an der Grenze zu Westberlin mindestens 140 Menschen getötet oder kamen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime ums Leben – auch Grenzsoldaten.

Daher war der 4. November 1982 kein guter Tag im Leben von Olaf Berger, der gerade als Autoschlosser ausgelernt hatte, als er damals in der Grenzkompanie Berlin-Treptow seinen Wehrdienst antreten musste. „Ich war achtzehn, meine Lehre war beendet, und ich wollte mich nun endlich voll auf die Musik stürzen“, schreibt der Sänger in seinem Buch, das im Verlag Bild und Heimat (18 Euro) erschienen ist. „Ich wollte Musik machen, genau wie mein Bruder, der schon in Papas Band Die Virginias spielte.“
Der Ärger fing für ihn schon mit dem Fahneneid an, den jeder DDR-Grenzsoldat kurz nach der Einberufung zu leisten hatte. „Also laut und öffentlich sprechen, dass man mit der Waffe in der Hand sein Vaterland verteidigt. Da war bei mir das Maß voll“, schreibt Berger. „Ich dachte an meine Kumpels zu Hause, an meinen Freundeskreis. Viele von ihnen hatten einen Ausreiseantrag gestellt. Aber Idioten waren sie deshalb noch lange nicht. Ich sagte mir: Nein, es kann nicht sein, dass ich an der Grenze stehe und am Ende jemanden erschießen muss, nur weil der raus will. Das mache ich nicht mit!“
Olaf Berger an der Berliner Mauer: „Ich kann diesen Eid nicht sprechen. Ich will die Waffe verweigern“
Und so ging Berger zu seinem Vorgesetzten, erklärte ihm: „Ich kann diesen Eid nicht sprechen. Ich will keine Waffe. Ich will die Waffe verweigern.“ Das war mutig und hätte harte Konsequenzen haben können. Letzteres machte man auch dem jungen Olaf Berger klar.
Der Deal, den man ihm vorschlug: Er arbeitet in der Grenzkompanie als Autoschlosser, im Gegenzug leistet er den Eid. So kam es auch. „Natürlich wusste ich, dass ich in einer Notfallsituation auch an die vorderste Front abkommandiert werden konnte“, berichtet der Sänger. „Aber ich hatte Glück. Während meiner anderthalb Jahre musste ich nicht über Leben oder Tod entscheiden und nicht zur Waffe greifen.“
Während seiner Grenzer-Zeit habe Berger oft das Thema beschäftigt, „was Menschen wohl dazu bringt, ihr Land zu verlassen“. „Warum fliehen sie wohl in den Westen und nehmen das schreckliche Risiko auf sich, dabei sogar erschossen zu werden?“, beschreibt Berger seine Gedanken. „Ich, als Dresdner, aus dem sogenannten Tal der Ahnungslosen, hatte ja überhaupt keine Vorstellung, was da drüben überhaupt los ist. Wie sieht das dort aus? Warum ist das so begehrt? Ich stand vor der Mauer, dahinter der Grenzstreifen, und dahinter lag das so ,gelobte Land‘. Der Westen.“
Olaf Berger an der Mauer: Darum haute er nicht in den Westen ab

Eines Tages stand er selber vor der Situation, die Seiten zu wechseln. Ein Auto der Kompanie war im Grenzstreifen liegen geblieben, Berger sollte den Wagen fit machen und abholen. „Das war eine seltsame Situation. Der Westen war zum Greifen nah. Einfach abhauen?“
Das Freiheitsgefühl hatte auch er: „Seit Kindheitstagen kannte ich dieses Fernweh und liebte auch deshalb die Ostsee so sehr. Oft paddelte ich im Urlaub auf Rügen mit meiner Luftmatratze ganz weit hinaus, blickte in die Ferne und fragte meinen Papa: ,Ganz da hinten – kommt da irgendwann Schweden?‘ Er nickte mir zu, und ich dachte: Das fetzt!“
Fliehen oder bleiben? Auf dem Grenzstreifen an der Berliner Mauer entschied sich Berger, dass er bleibt. In der DDR hatte er seine Familie, seine Freunde. „Ich bin jedenfalls nicht abgehauen. Weil ich mir dachte, es bieten sich im Leben sicher noch andere Möglichkeiten. Zum Beispiel mit der Musik“, schreibt Berger.
Musik mit der Gitarre: Die konnte Berger auf seiner Soldaten-Bude machen. Und das führte dazu, dass die DDR-Grenztruppen ungewollt zum Geburtshelfer seiner Schlager-Karriere wurden.

Olaf Berger: Bei den DDR-Grenztruppen fing seine Schlager-Karriere an
Ein Unteroffizier, der die Kultureinlagen hörte, riet Berger, sich bei einem Talente-Wettbewerb im Jugendtreff im Palast der Republik zu bewerben – das wäre heute mit „Deutschland sucht den Superstar“ zu vergleichen. Und es klappte. Berger besorgte sich über einen Schulfreund heimlich Zivilklamotten, denn mit Uniform wollte er nicht auftreten, obwohl das Tragen Vorschrift war und Verstöße streng geahndet wurden.
Bei dem Wettbewerb überzeugte Olaf Berger auch DDR-Promis: „Wolfgang ,Lippi‘ Lippert moderierte und führte durchs Programm. Ich sang zwei Lieder und spielte dazu Gitarre … Das war im Grunde genommen mein erster öffentlicher Auftritt. Dem Publikum und der Jury gefiel er.“

Olaf Berger wurde zu weiteren Auftritten eingeladen, sogar die DDR-Presse hatte sich angesagt. „Nun wollte ich nicht riskieren, dass plötzlich ein Bild von mir in Zivil in der Zeitung erscheint“, berichtet Berger. „Das hätte mit Sicherheit einen Mordsärger gegeben. Also musste ich tatsächlich in meiner Uniform auftreten.“
Nach 18 Monaten ist der Grenztruppendienst für Olaf Berger vorbei. „Als die Armeezeit endlich endete, war ich sehr froh. Ich war wirklich richtig glücklich.“ Denn nun konnte er mit seiner Sänger-Karriere wirklich durchstarten. ■