Ärger beim Rettungsdienst

Mussten Rettungswagenfahrer beim Marathon gegen die StVO verstoßen?

Beim Berlin-Marathon sollten Rettungswagen selbst ohne Patienten mit Sirene durch die Stadt rasen. Feuerwehrleute sind fassungslos.

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Beim Berlin-Marathon brachen viele Teilnehmer wegen des heißen Wetters zusammen - auch die schnellste Frau, Rosemary Wanjiru aus Kenia
Beim Berlin-Marathon brachen viele Teilnehmer wegen des heißen Wetters zusammen - auch die schnellste Frau, Rosemary Wanjiru aus KeniaAndreas Gora/dpa

Der Berlin-Marathon brachte am Sonntag nicht nur zehntausende Läufer, sondern auch extreme Belastungen für Feuerwehr und Sanitätsdienste. Wegen Hitze und Massenauflauf kam es zu zahlreichen Kreislaufzusammenbrüchen. Das Einsatzaufkommen stieg in Berlin so rasant, dass die Feuerwehrführung einschritt. Um 12.22 Uhr erging eine ungewöhnliche Anweisung an die RTW-Besatzungen: Alle Fahrzeuge sollten ab sofort mit Blaulicht und Sirene fahren – auch auf Leerfahrten zurück zum Standort. Ziel war, schneller einsatzbereit zu sein. Doch die Order wirft Fragen auf: Durften die Fahrer damit gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen?

Leerfahrten mit Blaulicht und Sirene sorgen für Diskussionen bei der Feuerwehr

Nach Paragraf 35 StVO dürfen Polizei- und Feuerwehrfahrzeuge von Regeln abweichen, nach Paragraf 38 dürfen sie Wegerechte beanspruchen – allerdings nur, wenn „höchste Eile geboten ist“, etwa um Menschenleben zu retten oder eine konkrete Gefahr abzuwehren. Leerfahrten zur Wache sind darin nicht vorgesehen. Innerhalb der Feuerwehr sorgt das für Diskussionen. In einem Forum heißt es: „Wenn da ein Unfall passiert, dürfte das vor Gericht kaum zu rechtfertigen sein, dass man mit Blaulicht lediglich zurück zur Wache gefahren ist. Es liegt ja noch kein Einsatz mit tatsächlichen Patienten vor. Wer übernimmt in einem solchen Fall die Verantwortung?“

Die Führung wollte damit verhindern, dass Rettungswagen nach Einsätzen weitab in falschen Bezirken hängenbleiben. „Kaskadeneffekte“ – etwa: Einsatz in Spandau, danach Notfall in Kladow – sollten so vermieden werden. Denn je weiter ein RTW vom eigenen Standort entfernt ist, desto länger werden die Anfahrtswege. Behördensprecher Vinzenz Kasch erklärte: „Es gab sie nicht nur beim Marathon, sondern auch außergewöhnlich viele im restlichen Stadtgebiet.“ Zudem verlängerten Sperrungen die Wege in Kliniken. Zu den rechtlichen Details äußerte er sich nicht.

Tausende Läufer gingen beim Berlin-Marathon am vergangenen Sonntag auf die Strecke.
Tausende Läufer gingen beim Berlin-Marathon am vergangenen Sonntag auf die Strecke.Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Jurist Vasco Reuss von der HWR Berlin hält die Maßnahme für vertretbar: „Es scheint mir jedenfalls nicht außerhalb der Verhältnismäßigkeit zu liegen, wenn Behörden hier die Rückkehr entsprechend angeordnet haben. Es muss ja nicht gewartet werden, bis tatsächlich ein konkreter Notfall eintritt – und dann keine oder nicht genügend RTW vorhanden sind. Insofern reicht auch eine eher abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus, die durch das vermeidbare Fehlen von RTW an ihren Standorten entsteht.“

Beim Marathon kam es zwischen 8.30 Uhr und 18 Uhr zu 184 Rettungseinsätzen

Die Zahlen belegen die Dramatik: Zwischen 8.30 Uhr und 18 Uhr kam es zu 184 Rettungsdiensteinsätzen (2022: 71), 125 Transporte ins Krankenhaus (2022: 49) und 1550 Hilfeleistungen durch den Sanitätsdienst (2022: 910). Die Lage war so angespannt, dass Pausen gestrichen wurden. Nach dem Marathon kündigte die Behördenleitung an, die Abläufe kritisch zu prüfen: Man wolle „die gewonnenen Erkenntnisse aufarbeiten, um die Planungen für die Zukunft entsprechend zu verbessern“.