Da kommt ein großes und Millionen Euro teures Verkehrschaos auf uns zu: In Berlin müssen 70 Brücken abgerissen werden, damit der Hauptstadt ein Einsturzdrama wie in Dresden erspart bleibt. Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) rückte jetzt mit dieser Hiobsbotschaft heraus. Demnach wurden bei den meisten der betroffenen Brücken der DDR-Spannstahl aus Hennigsdorf verbaut, der vergangenes Jahr die Dresdener Carolabrücke ohne Vorwarnung einstürzen ließ.
Nachdem im September 2024 diese Überführung in der Elbmetropole den plötzlichen Abgang machte, sind in Berlin sämtliche Kontrollblicke auf die fast 900 Brücken gerichtet, die die Hauptstadt hat. Vor allem stehen die Bauwerke im Fokus, in denen sich Spannstahl befindet, der offenbar, wenn er in die Jahre kommt, nicht mehr sehr standfest zu sein scheint.
Vor wenigen Tagen sickerte bereits die Nachricht durch, dass allein an der Ringbahn im Ostteil Berlins mindestens vier Brücken in der nächsten Zeit abgerissen werden müssen: an der Landsberger Allee, Kniprodestraße, an der Dunckerstraße und an der Pappelallee/Stahlheimer Straße – alle im Ortsteil Prenzlauer Berg. In ihnen soll der gefährliche Spannstahl sein, bei dem korrosionsbedingte Risse drohen und der zu DDR-Zeiten im VEB Stahl- und Walzwerk Wilhelm Florin in Hennigsdorf hergestellt wurde.
Doch jetzt kommt es noch schlimmer. Auf einer Ausschusssitzung stellte Verkehrssenatorin Bonde klar, dass nun sogar 70 Brücken auf die Abrissliste wegen des Spannstahls stehen. Das Erstaunliche: Nicht alle dieser Überführungen stammen aus DDR-Zeiten.
70 Brücken vor dem Abriss: Haben sie alle den gefährlichen DDR-Spannstahl?
Nur 57 Brücken stehen im Ostteil Berlins, in denen der DDR-Spannstahl verbaut wurde, der wie eine tickende Zeitbombe sein soll. Die anderen 13 Bauwerke sind im Westteil der Stadt. Wurde hier auch der gefährliche DDR-Spannstahl verbaut?

Der KURIER forschte nach – am Beispiel der Brücke am Breitenbachplatz in Dahlem, die abgerissen werden soll. In den 70er-Jahren wurde sie erbaut. Denkbar, dass hier der Spannstahl aus Hennigsdorf zum Einsatz gekommen ist.
Aber: Laut Verkehrsverwaltung wurde bei dieser Brücke Spannstahl der Handelsmarke Sigma verwendet, hergestellt von der Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG. In der „Handlungsanweisung zur Überprüfung und Beurteilung von älteren Brückenbauwerken“, die das Bundesverkehrsministerium 2011 herausbrachte, ist dieser Westspannstahl im Produktionszeitraum bis 1965 als „stark gefährdet“ und im Produktionszeitraum bis 1978 als „gefährdet“ eingestuft worden. Nicht nur DDR-Spannstahl ist in Brückenbauten also ein Risiko.
Zurück zu den Berliner Brücken, die nun aufgrund der Spannstahl-Sorten vorsorglich abgerissen werden sollen: Das gefährliche Material sei so in den Teilen eingebaut, dass eine Sanierung der Bauwerke nicht möglich sei, heißt es.
Aber die Brücken müssten ja auch nicht sofort weg. Sie seien nicht akut einsturzgefährdet, so die Verkehrssenatorin. Die Konstruktion sei anders als die der eingestürzte Carolabrücke in Dresden. Nachdem dort Spannglieder gerissen waren, gab es keine anderen Bauteile, die die Last aufnehmen konnten. „Berliner Brücken haben ein anderes statistisches System“, so Bonde.

Nach und nach müsse man nun die gefährdeten Brücken abreißen. Das wird nicht nur teuer, sondern wird auch für ein Verkehrschaos sorgen. Das zeigt schon die Problematik um den notwendigen Abriss der vier Ringbahn-Brücken in Prenzlauer Berg.
Brücken-Abriss: Allein in Prenzlauer Berg sorgt er für ein Mega-Verkehrschaos
Denn dort soll schon die Brücke über dem S-Bahnhof Schönhauser Allee durch einen Neubau ersetzt werden – an einer der wichtigsten Hauptverkehrsader im Osten Berlins. Straßenbahn-, U- und S-Bahnverkehr werden für sehr lange Zeit immer wieder unterbrochen sein. Denn von 2027 bis 2032 soll das Bauvorhaben dauern.
Kommt der Abriss der anderen vier Brücken dazu, ist das Verkehrschaos in Prenzlauer Berg komplett. So soll der Rück- und Neubau der Dunckerstraßen-Brücke schon nächstes Jahr starten und 15 Monate dauern. Kosten: 8,5 Millionen Euro. Laut Senatsverwaltung wird der Verkehr während der Bauzeit umgeleitet, nur Fußgänger und Radfahrer dürfen die Baustelle überqueren.
Bei der Pappelallee-Brücke sind die Kosten für den Neubau mit 5,2 Millionen Euro angegeben. Da kann man sich schon ausrechnen, was es dann kosten wird, wenn Berlin insgesamt 70 Brücken abreißen will, um kein Einsturz-Risiko einzugehen.
Kein Wunder, dass die Verkehrsverwaltung nun ausgerechnet jetzt mit dem Brücken-Thema kommt. Denn die drastischen Sparmaßnahmen im Senat gehen weiter. Und um bestehende Pfründe zu sichern, meldet jetzt die Verkehrsbehörde mit den gefährdeten Brücken schon einmal an, dass man dort nicht mit dem Rotstift die Gelder weiter streichen kann.
Liebe Leser, was sagen Sie zu den Abrissplänen? Vielleicht gibt es unter Ihnen noch einstige Bauleute, die beim Bau dieser Brücken dabei waren oder in dem Hennigsdorfer Werk Spannstahl hergestellt haben? Schreiben Sie uns an leser-bk@berlinerverlag.com oder kommentieren Sie unseren Beitrag auf Facebook oder bei X. Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften! ■