Eben haben sie noch Paw Patrol geguckt, und schon gehen sie in der großen Pause heimlich aufs Schulklo und vapen. Der süßliche Geruch von aromatisierten E-Zigaretten ist in Berliner Grundschulen längst keine Seltenheit mehr. Gingen die Zahlen rauchender Jugendlicher zuvor jahrelang zurück, gab es seit 2021 eine gefährliche Trendwende.
Die Zahlen sind alarmierend: Seit 2021 hat sich der Anteil der rauchenden 14- bis 17-Jährigen fast verdoppelt, und rund jedes vierte Schulkind im Alter von 9 bis 17 Jahren hat schon einmal Erfahrungen mit E-Zigaretten gemacht. An manchen Schulen ist dies bereits in der fünften Klasse weit verbreitet. Genau hier – bei den Zehn- und Elfjährigen – setzt deshalb ein neues Präventionsprogramm der Charité, „nachvorn“, an.
„Anders als Tabakzigaretten sind Vapes bunt, riechen angenehm und schmecken süß“, erklärt die Leiterin des Rauchpräventionsteams Marina Hinßen die Attraktivität von E-Zigaretten für Kinder. „Bei unseren ersten Gesprächen mit Schülern und Schülerinnen wurde deutlich, dass es bereits unter Jüngeren einen richtigen Hype um diese Produkte gibt.“
Besonders groß ist den Angaben des Robert Koch-Instituts zufolge, der Anteil der rauchenden Jugendlichen aus Elternhäusern mit niedrigerem sozioökonomischen Status.
Berlin, Raucherparadies
Berlin ist ein Hotspot, was die Zahl der Raucher angeht. Bundesweit gibt es hier auch die meisten tabakbedingten Todesfälle. 20,7 Prozent der Männer sterben in Berlin an tabakbedingten Erkrankungen, 13,3 Prozent der Frauen. In den Clubs und Bars der Stadt wird fröhlich weiter geraucht. Dabei gilt, je niedriger der Bildungsgrad und der sozioökonomische Status, desto häufiger greifen die Menschen zur Zigarette oder zur E-Zigarette.
Dabei sind die gesundheitlichen Folgen des Rauchens von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenschäden bis zu Krebs hinreichend bekannt. Rauchen ist die führende vermeidbare Todesursache!
„Rauchen ist immer noch der größte Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, betont Prof. Volkmar Falk, Ärztlicher Direktor des Deutschen Herzzentrums der Charité (DHZC) und Schirmherr des Projekts „nachvorn“.
„Auch E-Zigaretten und andere alternative Rauchprodukte bergen Gesundheitsrisiken, da beim Verdampfen gesundheitsschädliche, teils krebserzeugende Stoffe in den Körper gelangen“, sagt er. Außerdem gelten E-Zigaretten für viele Experten als erster Schritt auf dem Weg zum regelmäßigen Konsum von Tabakzigaretten.
Rauchen tötet jedes Jahr acht Millionen
Welche Auswirkungen das Rauchen hat, verdeutlichen die folgenden Zahlen: Acht Millionen Tote gehen jährlich auf das Rauchen zurück, davon 1,3 Millionen durch Passivrauchen. Alle vier Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch wegen seines Tabakkonsums. Im Tabakrauch befinden sich 5300 chemische Substanzen, 90 davon sind krebserregend. Das Nervengift Nikotin macht abhängig, egal ob es in der Zigarette oder im Inhalator verabreicht wird. Krass: in Deutschland kann ein Vape den Nikotingehalt von 20 Zigaretten haben.
Und auch wer nur gelegentlich raucht, erhöht das Risiko für Krankheiten, „ein sicheres Maß gibt es nicht“, sagt Prof. Volkmar Falk. Die bei Kindern und Jugendlichen beliebten Vapes sind genauso schädlich wie Zigaretten.
Programm für Fünftklässler
Es gilt also, gar nicht erst in eine Abhängigkeit zu geraten. Um Kinder und Jugendliche dabei zu begleiten, ein rauchfreies Leben zu führen, hat ein interdisziplinäres Team ein neues Präventionsprogramm für die fünften Klassen entwickelt.
Das Präventionsprogramm findet verstärkt in sozial benachteiligten Gegenden statt. Derzeit nehmen 26 Schulen in Mitte, Reinickendorf, Spandau und Neukölln teil. Eine baldige Ausweitung auf Friedrichshain-Kreuzberg ist geplant.
In drei Workshops wird sowohl über die Gesundheitsrisiken des Rauchens aufgeklärt als auch das Selbstvertrauen der Kinder und ihre Problemlösungskompetenz gestärkt. „Anders als im Biologieunterricht geht es nicht nur um die Vorgänge im Körper. Die Kinder entdecken selbst in Experimenten, Gruppendiskussionen und Rollenspielen, was sie gewinnen, wenn sie rauchfrei bleiben“, sagt Marina Hinßen.

Dazu wird zum Beispiel auch gemeinsam Zigarettenrauch auf Watte in einem Glaskolben geblasen. Der gelbe, schmierige Film und die schwarzen Verfärbungen, die entstehen, verderben die Lust, sich damit die Lungen zu verkleistern.
Eine Vision von einem gesunden, leistungsfähigen Ich in der Zukunft hilft, in verlockenden Situationen „nein“ zu sagen. Auch das wird in Rollenspielen und mit prominenter Unterstützung geübt.
Bekannte Persönlichkeiten aus den Bereichen Sport, Film und Social Media kommen ins Spiel: Mit ihren eigens für das Projekt erstellten Videos geben sie Tipps und eine besondere Kreativ-Challenge mit auf den Weg. Mit dabei sind unter anderem Ludwig Brix, Schauspieler am GRIPS Theater in Berlin und bekannt aus der ARD-Serie „All You Need“, die Olympia-Seglerin Anna Marktfort, die Kajak-Sportlerinnen Lena Röhlings und Pauline Jagsch sowie die YouTuberin Alicia Joe.
„Auch Gruppendruck ist ein wichtiges Thema“, erläutert Marina Hinßen. „Wir vermitteln, wie es gelingt, das zu tun, was sich richtig anfühlt – und nicht das, was andere wollen oder die Werbung als vermeintlich cool darstellt.“ Außerdem bekommen die Teilnehmenden Strategien vermittelt, wie sie Probleme besser lösen können und wie sie mit Stress umgehen können – ohne zur Zigarette zu greifen.

Das Projekt „nachvorn“ wird von der Deutschen Herzstiftung mit rund 350.000 Euro gefördert. Die Stiftung, die sich für die Tabak- und Suchtprävention einsetzt, möchte damit das Bewusstsein von Kindern und Jugendlichen dafür schärfen, dass sie mit dem Verzicht auf das Rauchen ihr Herz und ihre Gefäße schützen.
Doch nicht nur Prävention kann Kinder vor einer Raucherkarriere schützen. Bestehende Jugendschutzgesetze müssten ebenfalls konsequent angewandt werden. Nicht selten berichten Kinder, wie sie ohne einen Ausweis zeigen zu müssen, an die gut riechenden, bunten Vapes kommen. In Australien gibt es sie zu ihrem Schutz nur in Apotheken.
Mit durchschnittlich 11,7 Jahren haben bereits 12 Prozent der von der Charité befragten Kinder Raucherfahrung. Weltweit beobachten Forscher einen Einstieg ins Rauchen mit 12 oder 13 Jahren. Sie befürchten, dass das Vapen nicht nur in Berlin zu einem noch früheren Einstieg führt. ■