Atelier gesucht

Kein Platz für Kunst in Pankow: Herr Worner muss raus

Seit Ende der 80er-Jahre bietet Thomas Worner Keramikkurse in Pankow an. Nun läuft sein Mietvertrag aus. Der 72-Jährige würde gerne weitermachen, aber wo?

Author - Stefanie Hildebrandt
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Ein Pankower Urgestein muss aus seinem Atelier raus: Thomas Worner, der Keramikkurse anbietet, die bezahlbar sind. Ein Neubau soll entstehen, doch wohin soll Worner dann?
Ein Pankower Urgestein muss aus seinem Atelier raus: Thomas Worner, der Keramikkurse anbietet, die bezahlbar sind. Ein Neubau soll entstehen, doch wohin soll Worner dann?Markus Wächter

Thomas Worner müsste mit seinen 72 Jahren nicht hier stehen: barfuß, mit heller Jeans und blauem Hemd zwischen unzähligen Werken aus Ton. Längst ist der Mann mit den staubweißen Händen offiziell im Ruhestand. Er will aber hier stehen. Und in den Regalen in seiner Pankower Werkstatt stapeln sich immer frische Werke von Kindern und Erwachsenen. Schüsseln, Teller, Liebeserklärungen, geknetet, bemalt, gebrannt. Jedes Stück ein Moment der Kreativität und Hingabe an das Jetzt – konserviert für lange Zeit. Wie es mit Worner und seinem Handwerk weitergeht, ist ungewiss. Ende Juli endet sein Mietvertrag für das Atelier und ein neues ist nicht in Sicht. 

Am Tisch nebenan arbeiten drei ältere Frauen konzentriert an ihren Vasen, sie kommen jeden Donnerstag her. Auch sie wünschen sich, dass dieser Ort, an dem man gemeinsam ist, sprechen und schweigen kann, konserviert würde für lange Zeit. Doch die Werkstatt in dem kleinen Gewerbegebiet an der Damerowstraße ist schon seit Jahren nur geduldet.

Monatlich verlängerte Mietverträge

„Ein echter Glücksfall war das damals“, sagt Thomas Worner. Dass das Haus am Forum Pankow abgerissen werden und an seiner Stelle ein Neubau entstehen soll, ist schon lange klar. Nach und nach sind über die Jahre alle Nachbarn ausgezogen. Der Aldi, die Post, das Kindercafé. Seit 2018 hat Thomas Worner nur noch monatlich verlängerte Mietverträge unterzeichnet. Immer ging es irgendwie weiter. Doch nun ist wirklich Schluss.

Einen geeigneten und bezahlbaren Raum für seine Keramikkurse zu finden, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Hoffnung hat Thomas Worner aber noch nicht aufgegeben. 
Einen geeigneten und bezahlbaren Raum für seine Keramikkurse zu finden, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Hoffnung hat Thomas Worner aber noch nicht aufgegeben. Markus Wächter

Ein Schild an der Tür benennt das Datum. Am 27. Juni muss Thomas Worner anfangen, die Regale leer zu räumen. „Uns würde ganz doll was fehlen“, sagt eine der Damen. Sie alle berichten Worner von leer stehenden Gewerberäumen, die sie unterwegs sehen. Ein Umzug in neue Räume in der Nähe, das wäre die Rettung. Doch wie fast überall in der Stadt ist es schwer, in Pankow bezahlbare Flächen für Kunst und Soziales zu finden. In Zeiten, die von Wohnungsnot dominiert sind, sind Ateliers und Raum für Kunst Goldstaub.

Ums Geldverdienen geht es nicht

Auch Thomas Worner würde gerne noch weitermachen. Der Kontakt mit den Menschen, das Handwerk, sie erfüllen ihn. Überhaupt: „Ich kann nichts anderes“, sagt der studierte Formgestalter leise und lächelt.

Ums Geldverdienen ging es bei seinem Angebot, das es seit den 1980ern in verschiedenen Pankower Einrichtungen gab, allerdings nie. Kinder zahlen zwei Euro, wenn sie nachmittags in die offene Werkstatt kommen, Erwachsene in den Abendkursen etwas mehr. „Er macht es so, dass sich das alle leisten können“, sagen seine Schülerinnen. Nur die Miete, der Strom für die Brennöfen und die Materialkosten müssen reinkommen. „Es soll sich selber tragen, mehr nicht“, sagt Worner.

Atelier in Pankow gesucht

60 bis 70 Quadratmeter bräuchte er in Pankow, maximal zwölf bis 15 Euro für den Quadratmeter kann er zahlen. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, diesen Satz sagt Thomas Worner mehrmals. An das Loch, das sich möglicherweise nach dem Ende auftut, denkt er erst, wenn es so weit ist. Vielleicht dreht sich ja doch noch was? Eltern, deren Kinder bei Worner töpfern, haben Mails an die Bezirkspolitik geschrieben, für Thomas Worner aber sind solche Hilferufe nichts. „Ich will arbeiten“, sagt er, „nicht labern.“

Er kann die Kunstwerke der Kinder nicht wegwerfen

Bis zum Auszug stellt er derweil jeden Dienstag, Mittwoch und Donnerstag einen Tisch mit Kinderkunstwerken vor seine Tür. An dieser Geste erkennt man, wie sehr er mit dem Herzen bei seiner Arbeit und den kleinen Künstlern ist.

Bis Ende Juni können fertige Kunstwerke noch im Atelier abgeholt werden. 
Bis Ende Juni können fertige Kunstwerke noch im Atelier abgeholt werden. Markus Wächter

Für eine Spende kann man diese seit langem nicht abgeholten Werke mitnehmen. Sie wegzuwerfen, das bringt Worner einfach nicht über sich. Jeden Gegenstand hat er schließlich drei- bis viermal in der Hand gehabt, manchmal erinnert er sich sogar an die kleinen Urheber, die ohne Zwang, Warteliste und Kursvertrag einfach bei ihm reinschauen.

„Kinder sind in ihrem Alltag oft so durchgetaktet, hier ist das anders. Man kann herkommen und auch wieder gehen, wie man Lust hat“, erklärt Worner. Betrachtet man die bunten, herrenlosen Tonwaren, taucht man unweigerlich in Details ein: Warum bloß haben Theresa und Jasmin die liebevoll gestalteten Schilder für ihre Zimmer nicht abgeholt? Was geschah am 26. November? Ein Datum, das in einen blauen Teller eingraviert wurde. Wieso will der Künstler nichts mehr mit dem kleinen Vogel im Nest zu tun haben, den er oder sie schuf? Die blauen Eier liegen so glatt da, jemand muss sie achtsam gerollt haben.

Anfänge im DDR-Kulturhaus Erich Weinert

Am Vormittag kommen Senioren, am Nachmittag Kinder und am Abend wieder Erwachsene. Das Ende des Ateliers ist für viele im Kiez ein Verlust. 
Am Vormittag kommen Senioren, am Nachmittag Kinder und am Abend wieder Erwachsene. Das Ende des Ateliers ist für viele im Kiez ein Verlust. Markus Wächter

Und auch der Moment, in dem einst der Tonteller, beladen mit verschiedenen Wurstsorten, entstand, ist vergangen. So wie die Zeiten der Vergangenheit angehören, in denen an die 60 Kinder gleichzeitig im DDR-Kulturhaus Erich Weinert in Pankow Ton modellierten. „Eine weiße Spur zog sich durchs ganze Treppenhaus“, erinnert sich Thomas Worner, dessen Vater im Garten hinter dem Kulturhaus seine Bilderhauer-Remise hatte, an seine Anfänge. In den 1980er-Jahren begann hier, wo sich heute ein Tanzstudio befindet und die Jungen im Café in Smartphones gucken, eine echte Tonkneter-Karriere.

Etwas mit den eigenen Händen zu erschaffen, für diese grundlegende Erfahrung, die heute vielleicht noch wichtiger ist als damals, muss doch irgendwo ein Platz zu finden sein. ■