Ein Sechstklässler stößt einen kleineren Jungen so heftig zu Boden, dass sein Schlüsselbein bricht. Mädchen berichten, dass ihnen in der Pause in den Unterleib getreten wird. Auf einen am Boden liegenden Jungen schlagen mehrere andere Kinder ein. Vorfälle aus einer Pankower Grundschule. Kein Brennpunkt, ganz normaler Alltag an Berliner Schulen.
Gewalt unter Schülerinnen und Schülern ist längst kein Einzelfall mehr. Viele Lehrkräfte machen diese Beobachtung, wie eine neue Umfrage zeigt.
Gewalt mit problematischem Ausmaß
Fast jede zweite Lehrkraft in Deutschland sieht an der eigenen Schule psychische oder physische Gewalt unter Schülerinnen und Schülern in problematischem Ausmaß. Das geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten repräsentativen Umfrage der Robert-Bosch-Stiftung hervor. Danach gaben 47 Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrer an, dass es diese Probleme an ihrer Schule gebe. Gewalt ist da, daran gibt es keinen Zweifel.
Für die aktuelle Ausgabe des Deutschen Schulbarometers wurden zwischen 13. November und 3. Dezember vergangenen Jahres 1608 Lehrkräfte an allgemein- und berufsbildenden Schulen in Deutschland vom Meinungsforschungsinstitut Forsa befragt. Es handelt sich um eine repräsentative Befragung zur Situation der Schulen in Deutschland. Die Robert-Bosch-Stiftung lässt sie seit 2019 regelmäßig durchführen.
Was sind die größten Herausforderungen für Lehrer?
Als größte Herausforderung in ihrer beruflichen Tätigkeit sehen Lehrkräfte das Verhalten von Schülerinnen und Schülern. Das sagten bei der aktuellen Umfrage 35 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer. Am zweithäufigsten (33 Prozent) nannten sie den Umgang mit heterogenen Klassen. Gemeint sind damit nach Angaben der Robert-Bosch-Stiftung Klassen, in denen die Schülerinnen und Schüler individuelle Lernbiografien, unterschiedliche kulturelle und familiäre Hintergründe und unter Umständen auch besondere Förderbedarfe haben.
Lehrer sprechen vom täglichen Kulturkampf, den sie in den Klassen führen. In manchen Kulturkreisen zählt die Ehre mehr als der Respekt vor Lehrern. Die tägliche Auseinandersetzung mit Schülern mit unterschiedlichen Voraussetzungen überlagert das eigentliche Aufgabenfeld.
Was muss sich an den Schulen ändern?
Bei der Frage, was an den Schulen am dringendsten getan werden müsse, sahen 41 Prozent Handlungsbedarf beim Personalmangel. Dagmar Wolf von der Robert-Bosch-Stiftung wertete die Ergebnisse der Umfrage als Momentaufnahme eines kranken Systems.
Lehrerinnen und Lehrer müssten seit langem die Folgen des „massiven Personalmangels“ ausgleichen und immer neue Belastungen bewältigen. Gleichzeitig werde das berufliche Wohlbefinden in Zukunft enorm wichtig sein, um Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen zu halten und den Beruf für junge Menschen wieder attraktiver zu machen.
Dringenden Handlungsbedarf sieht gut ein Drittel auch bei maroden Schulgebäuden: 35 Prozent der befragten Lehrkräfte hielten Investitionen in Sanierung und Renovierung für notwendig. Der Bedarf ist laut Robert-Bosch-Stiftung in allen Regionen und sozialen Lagen in etwa gleich hoch.
Ganz grundsätzlich zeigt die Umfrage aber auch: Obwohl die Mehrheit (75 Prozent) der Lehrerinnen und Lehrer der Umfrage zufolge zufrieden mit ihrem Beruf und ihren Schulen ist, würden 27 Prozent den Beruf wechseln, wenn sie könnten.
Mit Blick auf die Umfrage sagte die Vorsitzende des Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing, dem Tagesspiegel: „Es ist erschütternd, dass so viele Lehrkräfte im Alltag verschiedene Formen von Gewalt erleben müssen.“ Das wachsende Ausmaß von Gewalt an Schulen, der Lehrkräftemangel und der marode Zustand vieler Schulen führten zu zusätzlichem Stress für alle. Deshalb müsse in die Schulen investiert werden.
Auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) nannte die Ergebnisse alarmierend. Die Umfrage mache deutlich, wie groß mittlerweile der Handlungsdruck in der Bildung sei, sagte sie den Tageszeitungen der Funke Mediengruppe.
Auch der Umgang unter Schülern in Berlin wird Polizeiangaben zufolge rauer. Die Zahl der erfassten Gewalttaten an Hauptstadt-Schulen ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Zwar liegen die endgültigen Zahlen für 2023 noch nicht vor und in den Jahren 2021 und 2022 muss die Corona-Pandemie berücksichtigt werden, dennoch zeigt die Tendenz eindeutig nach oben. Das belegen Statistiken und Einschätzungen, von denen die Polizei berichtet.
Demnach registrierte die Polizei 2021 insgesamt 1133 sogenannte Rohheitsdelikte. 2022 waren es 2344 entsprechende Taten und für 2023 sei eine „erneute deutliche Steigerung der Fallzahlen“ zu verzeichnen. Interessant ist dabei auch, dass diese Taten fast nie von den Schulen oder der Polizei der Öffentlichkeit und den Medien mitgeteilt werden.
Meistens handelte es sich bei den Delikten um vorsätzliche einfache Körperverletzungen (2022: 1379). Dazu kamen jeweils dreistellige Zahlen von gefährlichen Körperverletzungen (370), bei denen eine Art von Waffe eingesetzt worden sei, sowie ähnlich viele Bedrohungen (361). Anzeigen wegen Raubs (62) und Nötigungen (79) lagen im zweistelligen Bereich. ■