Gregor Gysi so offen und persönlich wie noch nie. Auf seinen Lesereisen wird er seit Jahren von Hans-Dieter Schütt begleitet. So kam es zu den Gesprächen am Imbissstand, die in einem neuen Buch versammelt sind. Viele dieser Gespräche hat er mit dem Berliner KURIER geführt. Und Gysi ist in seinem Element, schlagfertig, pointiert, lebensklug. Er schreibt über „Wodka, Fußball und Ostdeutschland, über die Letzte Generation und die erste deutsche Kanzlerin, über die Medien, Sinnlichkeit und Gott. Gysi on tour durchs Leben – wie es ist, wie es sein sollte und wie wir es verändern könnten“.
Ein bisschen Etikettenschwindel ist natürlich schon dabei. „Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi“ heißt das neue Buch des Linke-Politikers. Dabei ist der 75-Jährige nach drei Herzinfarkten längst vorsichtig mit Fett und Kohlenhydraten. Wann er die letzte Currywurst gegessen habe? „Das ist schon eine ganze Weile her“, gesteht Gysi. „Das mache ich eigentlich nur, wenn ich zu Spielen von Union Berlin gehe.“ Ansonsten verzichtet Gysi nach einem guten Frühstück meist aufs Mittagessen und abends auch auf Kartoffeln, Reis, Brot oder Nudeln.
Aber gut, es geht hier ganz offensichtlich nicht um ein Ernährungshandbuch, sondern um ein Kompendium polit-philosophischer Vignetten eines der schlagfertigsten Politiker im Bundestag. Angelegt ist das als Zwiegespräch mit dem Journalisten Hans-Dieter Schütt. Er habe Gysi oft als Moderator bei Buchvorstellungen begleitet, schreibt Schütt zur Einleitung. Zwischen Tür und Angel habe es interessante Zufallsgespräche gegeben, für die man eine (Buch-)Form gesucht habe.

Das klingt nach Plaudereien der beiden gleichaltrigen Männer. Aber Schütt bohrt bei diesem Austausch über Gott und die Welt streckenweise sehr zielgerichtet nach. Manchmal springt er auch wild zwischen den Themen, etwa von der Frage, wo Gysi den Mauerfall 1989 erlebt habe, direkt zu: „Haben Sie als Erwachsener jemals eine Nacht im Freien verbracht?“
Gregor Gysi verzichtet oft aufs Mittagsessen
Auf diese Weise erfahren Leserinnen und Leser auf gut 300 Seiten, dass Gysi nicht sparsam lebt – „ich gönne mir was“. Dass er beim Wandern hügelige Landschaften bevorzugt, denn nur flach, das wäre zu langweilig. Dass er nie Tagebuch schrieb. Dass er gerne auf Friedhöfen spazieren geht, aber selbst keinen Grabstein will. Und keine Angst vorm Sterben hat.
Vor allem aber geht es doch um Politik. Um Gysis Werdegang vom Ost-Berliner Anwalt und einfachen SED-Mitglied zum Vorsitzenden der DDR-Staatspartei im Dezember 1989, als der Untergang von Staat und Partei schon absehbar war. Gysi blieb dabei, teils wohl aus Trotz, und führte auch die Nachfolgepartei PDS. Er war Chef der PDS-Fraktion im Bundestag, später dann der Linke-Fraktion. Bis heute ist er Star der Partei. 2021 gewann er wieder einmal sein Ost-Berliner Direktmandat, eines von drei, die der Linken den Fraktionsstatus im Bundestag sicherten.
Klar, dass Gysi am existenzbedrohten Zustand seiner Partei leidet. „Ich will sie retten“, sagt er im dpa-Gespräch zum Buch. „So einfach ist das, so wie früher auch schon.“ Deshalb suche er immer wieder das Gespräch mit der Abgeordneten Sahra Wagenknecht, die mit der Gründung einer eigenen Partei liebäugelt. Gysi will sie davon abbringen und gibt nicht auf: „Es ist noch nicht ganz vorbei, obwohl sie sich innerlich schon ziemlich weit entfernt hat von der Partei.“

Ob Wagenknecht noch links ist? „Sie will mischen: Sozialpolitik wie die Linke, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und Flüchtlingspolitik wie die AfD“, sagt Gysi. Er halte das für inhaltlich falsch und auch wenig erfolgversprechend.
Auf Ämter ist Gregor Gysi nicht mehr scharf
Auf seiner Rettungsmission will Gysi zwar keine Ämter mehr, doch reist er nach eigenem Bekunden wieder zu Parteiveranstaltungen nach Rostock, Schwerin oder Halle. Die Linken im Bundestag will er zusammenhalten, auch nach der nächsten Wahl. „Ich möchte nicht, dass das aufhört“, sagt er. „Wenn ich gehe, möchte ich vorher, dass sie einen stabilen Platz im Bundestag hat.“
Das klingt schon fast so, als ob Gysi auch 2025 mit dann 77 Jahren wieder kandidieren wollte. Offiziell legt er sich noch nicht fest. Aber im Buch verrät er eine nicht unerhebliche Motivation, nämlich die mutmaßliche Rolle als Alterspräsident des Parlaments. „Was könnte Sie im Bundestag an der Funktion des Alterspräsidenten reizen?“, fragt ihn Schütt. Antwortet Gysi: „Dass ich bei der Eröffnung des neuen Bundestages ohne Redezeitbegrenzung sprechen darf. Für mich fast ein Traum.“