Am Brandenburger Tor

Gegen die Angst: Bundeskanzler eröffnet jüdisches Lichterfest Chanukka

KURIER erklärt das traditionelle jüdische Fest und warum diesmal Bundeskanzler Olaf Scholz die Flamme entzündete.

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Vor dem Brandenburger Tor in Berlin wurde am Donnerstag das erste Licht an einem zehn Meter hohen Chanukka-Leuchter entzündet. Rabbi Teichtal überreicht dem Bundeskanzler zum Dank einen Chanukka-Leuchter.
Vor dem Brandenburger Tor in Berlin wurde am Donnerstag das erste Licht an einem zehn Meter hohen Chanukka-Leuchter entzündet. Rabbi Teichtal überreicht dem Bundeskanzler zum Dank einen Chanukka-Leuchter.Ditsch/epd/imago

Es passiert immer kurz vor Weihnachten. Juden feiern das Lichterfest, acht Tage zum Gedenken an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels (164 v. Chr.) in Jerusalem. Doch in diesem Jahr liegt ein Schatten über dem Lichterfest: Unbeschwertes Feiern fällt den jüdischen Berlinern schwer, die Zahl der antisemitischen Vorfälle hat seit Anfang Oktober zugenommen. Zum Entzünden des großen Chanukka-Leuchters am Brandenburger Tor kam in diesem Jahr erstmals der Bundeskanzler. Ein Zeichen der Solidarität. Viele Juden wünschen sich das auch im Alltag.

Ein Licht entzünden, zusammenrücken, Zeichen setzen, darum geht es jetzt für Yehuda Teichtal. „Die Botschaft von Chanukka ist: Licht über Dunkelheit, Liebe über Hass“, sagt der Rabbiner der jüdischen Gemeinde Chabad Berlin.

Trotz aller düsteren Nachrichten der vergangenen Wochen – bei der Zeremonie zum Anzünden des Chanukka-Leuchters am Brandenburger Tor betonte Teichtal am Donnerstag seinen Optimismus. „Mehr Licht, mehr Freude, mehr jüdisches Bewusstsein, das ist unsere Antwort“, rief er den geladenen Gästen zu.

Bundeskanzler: „Wir nehmen es nicht hin, wenn jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger Angst haben müssen“

Darunter war erstmals auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der am Ende auf einer Hebebühne neben Teichtal das erste Feuer auf dem zehn Meter hohen Leuchter entfachte. Für Scholz war es eine Geste der Solidarität – und genau das forderte der Kanzler auch von allen anderen im Land. „Wir nehmen es nicht hin, wenn jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger Angst haben müssen, offen ihre Religion, ihre Kultur, ihren Alltag zu leben, wenn sie ihr grundlegendes Recht wahrnehmen, sichtbar zu sein, ein Recht, das alle Menschen in unserer Gesellschaft haben, ohne Unterschied“, sagte der SPD-Politiker.

Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hatten Meldestellen des Netzwerks Rias innerhalb von gut vier Wochen fast 1000 antisemitische Vorfälle registriert. Allein in Berlin waren es 282 derartige Taten.

Juden berichten, dass sie ihre Zeichen verstecken, den Davidstern oder die Kippa. Jüdische Kitagruppen fahren nicht mehr U-Bahn, weil die Kinder dort Hebräisch sprechen könnten. Juden, die sich noch in Busse und Bahnen trauen, hören dort Gespräche ihrer Mitmenschen, die über das Töten von Juden oder Israelis fantasieren. All das hat Rias erfasst.

Hier wird der Chanukka-Leuchter entzündet: durch den Rabbiner Yehuda Teichtal und Bundeskanzler Olaf Scholz.
Hier wird der Chanukka-Leuchter entzündet: durch den Rabbiner Yehuda Teichtal und Bundeskanzler Olaf Scholz.Ditsch/epd/imago

Am größten aber war der Schock über sogenannte Markierungen – der Davidstern an Häusern, in denen Juden leben – und über einen Beinahe-Anschlag auf eine Synagoge im Oktober. „Dieser versuchte Brandanschlag hat zu einer enormen Erschütterung des Sicherheitsgefühls in den jüdischen und israelischen Gemeinschaften geführt“, berichtet Rias. Der frühere Außenminister Joschka Fischer bekannte auf Zeit-Online, er habe nicht für möglich gehalten, was seit dem 7. Oktober in Deutschland passiert sei. „Ich schäme mich für unser Land.“

Traditionelle Speisen sind in Öl gebratene Krapfen und Kartoffelpuffer

Das klingt düster zu Beginn eines eigentlich freudigen Festes, das dieses Jahr bis zum 15. Dezember dauert. Der Hintergrund von Chanukka ist zwar ganz anders als der von Weihnachten – erinnert wird an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem nach einem Aufstand gegen die Griechen 164 vor Christus und an das „Lichtwunder“ eines acht Tage brennenden Leuchters.

Traditionelle Speisen sind nicht Stollen und Lebkuchen, sondern in Öl gebratene Krapfen und Kartoffelpuffer. Aber Symbole und Botschaft ähneln sich doch: Licht in der dunklen Jahreszeit, das Feiern in der Familie, Geschenke.

„Chanukka ist eines meiner Lieblingsfeste in der jüdischen Liturgie“, sagt Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. „Gefeiert wird das Licht, das die Dunkelheit vertreibt.“ Bildlich stehe das für die Angst, die verscheucht werden soll.

Seit dem 7. Oktober lasse diese Angst viele Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft zwar nicht mehr ganz los. Die Gefährdung sei real, das werde sich nicht von heute auf morgen ändern, meint Klein. „Aber was mir Jüdinnen und Juden auch immer wieder sagen, ist, dass sich Angst besser ertragen lässt, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist.“

Viele Berliner kamen zur Eröffnung des Chanukka-Festes zum Brandenburger Tor und zeigten ihre Solidarität mit den Menschen in Israel.
Viele Berliner kamen zur Eröffnung des Chanukka-Festes zum Brandenburger Tor und zeigten ihre Solidarität mit den Menschen in Israel.Endfer/epd/imago

Ein Zeichen der Zuwendung, jenseits des Streits über den Nahost-Konflikt, das wünschen sich viele Juden in Deutschland. Die Mehrheit der Nichtjuden sei nicht antisemitisch eingestellt, aber Ängste von Juden seien vielen egal, sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, der Wochenzeitung Zeit. „Sie denken nichts. Sie sagen nichts. Der Hass auf uns berührt sie nicht. Dieses Schweigen ist bitter.“

Am Sonntag gibt es in Berlin die große Kundgebung „Nie wieder ist jetzt – Deutschland steht auf“

Es gebe Solidarität, sagte Rabbiner Teichtal ein paar Tage vor der Chanukka-Zeremonie. Aber sie sei nicht ausreichend. „Wir wünschen uns, dass mehr aufstehen. Der eine stellt ein Licht ins Fenster, der andere engagiert sich im Kiez, es gibt viele Wege und viele Zeichen. Jeder kann das machen, nach seinen Möglichkeiten. Hauptsache ist, dass Menschen aufstehen und zeigen: Wir werden keinen Hass zulassen.“

Für Sonntag plant ein Bündnis um Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in Berlin eine große Kundgebung unter dem Titel „Nie wieder ist jetzt – Deutschland steht auf“.

Auch Bundeskanzler Scholz stellte sich am Donnerstag hinter den Aufruf zur Kundgebung. Bei der Zeremonie am Brandenburger Tor sagte er: „Mitgefühl und Solidarität zu zeigen mit unseren jüdischen Nachbarn und Freunden, Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen, das ist in diesen Tagen besonders wichtig. So kann jede und jeder von uns den Worten ‚Nie wieder‘ Kraft verleihen.“ ■