Film-Star Martina Gedeck erinnert an Kriegs-Drama

Mutter verlor ihre vier Kinder: Sie verbrannten im Luftschutzbunker

Auf einer Gedenkfeier las die Schauspielerin aus einem Bericht einer Mutter aus Kreuzberg, die aufschrieb, wie ihre Kinder bei dem schwersten Luftangriff auf Berlin vor 80 Jahren starben.

Author - Norbert Koch-Klaucke
Teilen
Der schwerste Luftangriff auf Berlin: Das Foto zeigt, wie am 3. Februar 1945 aus einer US-Maschine Bomben auf das Stadtzentrum abgeworfen werden.
Der schwerste Luftangriff auf Berlin: Das Foto zeigt, wie am 3. Februar 1945 aus einer US-Maschine Bomben auf das Stadtzentrum abgeworfen werden.Photo 12/imago

„Das Leben der Anderen“, „Die Wand“, zuletzt im Fantasy-Film „Woodwalkers“: In über 80 Filmen spielte Kino-Star Martina Gedeck (63) mit. Doch diese Rolle dürfte zu der schwersten in ihrer Karriere gehören. Bei einer Gedenkveranstaltung las die Schauspielerin am Montag aus den Erinnerungen einer Frau, die haargenau die Geschehnisse vor 80 Jahren schildert, als Berlin kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges den schwersten Luftangriff erlebte. Es sind die Erinnerungen einer Mutter aus Kreuzberg, die an jenem 3. Februar 1945 ihre vier Kinder in der Feuersbrunst der Bomben verliert.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren: Bis Nazi-Deutschland am 8. Mai 1945 die Kapitulationsurkunde unterschreibt, gibt es noch viel Blutvergießen. Etwa bei dem schwersten Luftangriff auf Berlin, bei den Tausende ums Leben kamen. Am 80. Jahrestag erinnerte der Verein „Berliner Unterwelten“ an die Geschehnisse, die in dieser Stadt schon fast vergessen sind.

Die Gedenkfeier fand in einem ehemaligen Luftschutzbunker an der Dresdener Straße (Kreuzberg) statt, den von dem Unterwelten-Verein zum Lern- und Gedenkort umgebaut wird. Über 4000 Menschen waren hierher geflohen, als es am 3. Februar 1945  gegen 11 Uhr Bombenalarm gab. Dabei war der Bunker nur für 800 Menschen zugelassen.

Kino-Star Martina Gedeck liest im ehemaligen Luftschutzbunker

Um 11 Uhr begann auch die Gedenkfeier. Sie ist gut besucht. Und es ist eng. Die Anwesenden bekommen in etwa eine Ahnung, wie schlimm diese Enge erst für die Menschen gewesen sein muss, die vor 80 Jahren in diesem Bunker Zuflucht suchten, der bei der Veranstaltung stellvertretend für alle dieser damaligen Schutzräume steht.

Schauspielerin Martina Gedeck während der Lesung im einstigen Luftschutzbunker Dresdener Straße.
Schauspielerin Martina Gedeck während der Lesung im einstigen Luftschutzbunker Dresdener Straße.Eventpress/imago

Die Zuhörer erfahren, wie 958 Bomber der US-Airforce am Vormittag des 3. Februar 1945 Berlin überfliegen. Das Ziel der Bomber: Das Zeitungs- und Regierungsviertel, sie sollen auch den Potsdamer- und Anhalter Bahnhof zerstören. 2000 Tonnen Sprengbomben und 200 Tonnen Brandbomben werden abgeworfen. Doch viele verfehlen ihr Ziel.

Durch starken Wind von Süd-West wird der Schwerpunkt des Bombenteppichs nach Osten verschoben und legte so fast die gesamte Luisenstadt in Schutt und Asche. Zwischen der Leipziger Straße und dem Luisenstädtischen Kanal liegt ein einziges Trümmerfeld. Das Exportviertel an der Ritterstraße, das Zeitungsviertel an der Kochstraße und auch der Moritzplatz sind stark zerstört.

Blick auf das zerbombte Berlin
Blick auf das zerbombte BerlinUnited Archives/imago

Überall brennt es. Die über 4000 Menschen in dem Bunker an der Dresdener Straße haben Glück und überleben den Angriff. Viele aber nicht. Im Wehrmachtsbericht ist von 2.894 Toten die Rede, britische und amerikanische Quellen geben bis zu 25.000 Opfer an.

Kinder verbrannten im Bunker: Berliner Mutter schrieb das Kriegs-Drama auf

Zu ihnen gehören auch die vier Kinder von Hedwig Langer, aus deren Zeitzeugenbericht Marina Gedeck bei der Gedenkveranstaltung im Bunker las. Die Berliner Mutter hatte ihre Erinnerungen auf 20 Papierseiten mit der Schreibmaschine geschrieben, die Blätter mit einer Schnur in einem Pappumschlag gelegt und zu einem Heft zusammengebunden.

Das Manuskript „Erinnerungen an den 3. Februar 1945“, das Hedwig Langer schrieb.
Das Manuskript „Erinnerungen an den 3. Februar 1945“, das Hedwig Langer schrieb.ARCHIV REPRODUCTS

Auf der Titelseite steht nüchtern in Schreibschrift „Erinnerung an den 3. Februar 1945“. Darunter hat Hedwig Langer mit Tusche eine Flamme gezeichnet.

Für Kino-Star Gedeck ist jede Seite, jeder Satz, jedes Wort eine Herausforderung. „Es ist ein harter Text“, sagte die Schauspielerin vorab dem RBB. „Die Frau beschreibt sehr genau und plastisch die Geschehnisse. Das ist sehr, sehr erschreckend.“

„Alle Kinder sind verbrannt“: Seite aus den Erinnerungen von Hedwig Langer.
„Alle Kinder sind verbrannt“: Seite aus den Erinnerungen von Hedwig Langer.ARCHIV REPRODUCTS

Der 3. Februar 1945 Uhr ist ein Sonnabend. Hedwig Langer ist morgens mit ihren Kindern Thea (16), Gottfried (11) und den Zwillingen Irene und Otto (beide 9) in der Küche. Felix, ihr Mann, war am Tag zuvor zum Dienst bei der „Stadtwacht“ einberufen worden. Aber die Schwägerin ist da, die auf die Kinder aufpassen soll. Denn Hedwig Langner muss zum Wirtschaftsamt.

Als sie auf der Behörde ist, beginnt der Bombenangriff. Hedwig Langner findet in einem Luftschutzkeller nahe dem Amt Zuflucht. Als der Angriff nach 45 Minuten beendet ist, versucht sie sich ihren Weg durch die brennende, zerbombte Stadt nach Hause zu bahnen – vorbei an Leichen, die auf den Straßen liegen, vorbei an Trümmerkratern, wo einst Häuser standen.

Martina Gedeck und Unterwelten-Vereinschef Dietmar Arnold vor dem Manuskript
Martina Gedeck und Unterwelten-Vereinschef Dietmar Arnold vor dem ManuskriptChristoph Soeder/dpa

Sie erlebt, wie Feuerwalzen Häuser verschlingen. Die Gebäude brennen, brechen ein. Straßen und Höfe brennen. Es wird Stunden dauern, bis Hedwig Langer nach Hause kommt. Sie muss immer wieder riesige Umwege laufen. Ihre Augen brennen. Sie hat Hunger.

Berliner Mutter: Sie hoffte so sehr, dass ihre Kinder noch leben

Abends hat Hedwig Langer keine Kraft mehr und bleibt auf einer Sammelstelle für Ausgebombte. Erst am nächsten Morgen erreicht sie ihre Wohnung an der Oranienstraße, die zerstört ist. Sie hofft, dass ihre Kinder leben – so wie sie. Doch dann erfährt die Mutter: Ihre Kinder und die Schwägerin sind im Luftschutzbunker verschüttet worden und verbrannt.

Mit ihrem Mann findet Hedwig Langer die Überreste ihrer Kinder unter den Trümmern, die sie in einem kleinen Metallsarg legen. Während der Beisetzung auf dem Friedhof „heulen wieder die Sirenen“, schreibt die Mutter in ihren Erinnerungen.

Brennendes Haus nach einem Bombenangriff in Berlin
Brennendes Haus nach einem Bombenangriff in BerlinSNA/imago

Den Text, den Martina Gedeck auf der Gedenkveranstaltung im Bunker las: Hedwig Langer hatte ihn im März 1952 aufschrieben – nach dem Tod ihres Mannes Felix. Ihren Namen schrieb sie nicht auf das Manuskript. Warum auch. Sie ahnte ja nicht, welches Zeugnis sie da der Nachwelt hinterließ und das ihr Name einmal wichtig sein könnte.

Dass wir jetzt von dieser Geschichte überhaupt erfahren, ist ein großer Zufall. Ende 1997 wurde das Manuskript in einem alten Aktenschrank gefunden, der in einem Möbellager in den S-Bahnbögen nahe der Fasanenstraße stand.

Das Heftchen kam von dort in den Besitz der „Deichtorhallen“ in Hamburg, eines der größten Ausstellungshäuser für Kunst und Fotografie in Europa. Dank eines Berichtes über das Zeitdokument wurde der Berliner Untergrund-Verein darauf aufmerksam.

Erinnerungen einer Berliner Mutter: Manuskript im Aktenschrank gefunden

Vereinsmitarbeiter begannen mit der Recherche, um den Namen der Verfasserin herauszufinden. Archive von Behörden wurden durchforstet. Dank der Kindernamen und deren Geburtsdaten, die in dem Bericht der Mutter standen, konnte unter anderem der Name der Autorin ermittelt werden.

„Wir wissen jetzt, dass die Familie in der Kreuzberger Oranienstraße 113-114 wohnte und dass Hedwig Langer, geborene Rautenberg, am 20. Juni 1925 in Preußisch Friedland im damaligen Kreis Schlochau (Westpreußen) ihren Felix, einen Studienrat, geheiratet hat“, sagt Unterweltenvereinschef Dietmar Arnold. „Was aus Hedwig geworden ist, haben wir leider noch nicht herausgefunden.“

Dafür konnte das  Grab der Kinder auf dem katholischen Friedhof St. Hedwig II in Berlin-Weißensee ermitteln werden. Geplant ist, dort eine Gedenktafel anzubringen, so Arnold.

Der Verein und Kino-Star Martina Gedeck haben dazu beigetragen, dass die Geschichte von Hedwig Langer unvergessen bleibt. Die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges darf man nicht vergessen, so die Schauspielerin. ■