Berlin-Ein Baby zu bekommen, ist für Eltern das größte Glück – doch die Zeit danach bringt auch viele Herausforderungen mit sich. Als ihre beiden Kinder noch klein waren, hätte sich Anastasia Scoubeau sehnlichst Unterstützung gewünscht: jemanden, der ihr kurze Auszeiten ermöglicht und ihr mit Rat zur Seite steht. Eine Hilfe, wie sie das Familiennetzwerk „wellcome“ bietet.
Damals wusste Anastasia noch nichts von der Organisation, die Eltern im ersten Jahr nach der Geburt ihres Kindes entlasten will. Eine Zeit, in der viele Mütter und Väter an ihre Grenzen stoßen. Heute ist Anastasia eine der mehr als 220 Ehrenamtlichen, die sich allein in Berlin bei „wellcome“ und damit für junge Familien engagieren.
Mit dem Baby auf sich allein gestellt
Wir treffen Anastasia bei Nicole, alleinerziehende Mutter der kleinen Cleo, in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg. Neun Monate alt ist das Mädchen, das gerade recht entspannt zwischen Spielsachen auf dem Wohnzimmerteppich sitzt. Nicole geht es wie vielen jungen Eltern in Berlin: Sie hat keine Familie in der Nähe, die Großeltern von Cleo leben in Süddeutschland. „In den ersten Wochen nach der Geburt unterstützte mich eine Wochenbettbegleiterin. Aber danach war ich erst mal auf mich allein gestellt“, erzählt Nicole. Eine Freundin empfahl ihr, sich an „wellcome“ zu wenden.

Nun ist Anastasia einmal in der Woche für Nicole und ihr Kind da. „Für mich ist es schön, einer anderen Mutter zur Seite zu stehen“, sagt sie. Gleichzeitig genießt sie die Zeit mit der kleinen Cleo. „Es ist wunderbar, sich wieder um ein Baby zu kümmern.“ Ihr eigener Sohn ist schon elf, ihre Tochter acht Jahre alt.
Kleine Auszeiten sind für die Mütter sehr wichtig
Mit ihrem Ehrenamt bei „wellcome“ verbindet die 39-Jährige auch den Wunsch, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. „Ich fühle mich dadurch besser integriert und ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben.“ Anastasia stammt aus Weißrussland, sie kam zum Studium nach Berlin und arbeitete danach in der IT-Branche. Dort lernte sie ihren Mann kennen, einen Belgier. Sie weiß also gut, wie es ist, eine Familie ohne den Beistand von Großeltern in der Nähe zu organisieren.
Und sie weiß, wie wichtig gerade für Mütter kleine Auszeiten sind – „Mama-Luxus-Momente“, wie sie sie nennt: „Ein Weilchen ohne Kind sein, in Ruhe durchatmen, ungestört einen Kaffee trinken, ohne zu hetzen unter die Dusche.“ Solche Momente ermöglicht sie nun Nicole.
Viel mehr als einfach nur Babysitting
Etwa zwei Stunden lang kümmert sich Anastasia um Cleo, spielt mit ihr, geht mit ihr spazieren oder auf den Spielplatz. Nicole nutzt die Zeit für sich – manchmal zum Entspannen, manchmal für Sport. Oft aber auch für Dinge, die im Alltag liegen bleiben. „Es gibt so vieles, wozu man einfach nicht kommt“, sagt Nicole. „Zum Beispiel ein Antrag für die Krankenkasse – dafür braucht man einfach Ruhe. Solche Aufgaben lege ich auf den Tag, wenn Anastasia kommt.“

Nicole und Cleo sind bereits die zweite Familie, die Anastasia im ersten Jahr nach der Geburt begleitet. Wenn sie Freunden von ihrem Ehrenamt erzählt, fällt oft das Wort „Babysitting“. Doch das greift zu kurz: „Es ist viel mehr als das“, betont sie. „Man baut eine Beziehung auf, gibt Rückhalt. Und ich kann meine Erfahrungen weitergeben – etwa, wie man einen Kita-Platz findet.“ Und: Anastasia schenkt ihre Zeit. Eine Bezahlung wie beim Babysitting bekommt sie nicht.
Große Nachfrage nach ehrenamtlicher Unterstützung
Gegründet wurde das Sozialunternehmen „wellcome“ 2002 in Hamburg von der Sozialpädagogin Rose Volz-Schmidt. Aus eigener Erfahrung wusste sie, wie überfordernd die erste Zeit mit einem Neugeborenen sein kann – besonders ohne familiäre Unterstützung. Heute ist „wellcome“ bundesweit aktiv, allein in Berlin gibt es 17 Standorte bei verschiedenen Kinder- und Jugendhilfeträgern.
Die Nachfrage ist groß, Ehrenamtliche werden gesucht. Eigene Kinder zu haben, ist keine Voraussetzung – wichtig sind Einfühlungsvermögen, Geduld und der Wunsch, Familien zu stärken. Es gibt Schulungen, etwa einen Erste-Hilfe-Kurs für Kleinkinder. „wellcome“ schaut, welche Ehrenamtlichen zu welchen Familien passen könnten. Dann trifft man sich zum Kennenlerngespräch, in dem auch Erwartungen geklärt werden. Die Familie zahlt für die Vermittlung 10 Euro und pro Besuch 3 bis 5 Euro an die Träger – wenn das finanziell geleistet werden kann.

Nicole plant, 16 Monate Elternzeit zu nehmen, dann geht sie zurück in ihren Job als Teamleiterin im Marketing. Anastasia wird sie bis zum Kita-Start von Cleo begleiten. Ihren IT-Job hat sie inzwischen aufgegeben – „das war mit zwei kleinen Kindern dann doch zu stressig“. Sie hat sich selbstständig gemacht, bietet Entspannungs-Therapien mit Klangschalen an. Die Förderung mentaler Gesundheit liegt ihr besonders am Herzen – auch deshalb engagiert sie sich bei „wellcome“. Und das möchte Anastasia auch in Zukunft tun.



